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Psychotherapeuten im Visier

Psychotherapeuten im Visier

Titel: Psychotherapeuten im Visier
Autoren: Holger Reiners
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der Selbstwahrnehmung nicht zusammen. Hausarzt und Internist dagegen sind meist seit Langem schon vertraute Gesprächspartner – ihnen also fällt die Aufgabe zu, die meist nur kleinen seelischen Blessuren ihrer Patienten medikamentös zu verbinden. Nichts anderes macht der Hausarzt bei seinem Patientenspektrum jeden Tag, wenn es um eindeutige Befunde bei somatischen Problemen geht. Aber die Seele? Damit sind die meisten überfordert.
    Bei all dem dürfen wir nicht vergessen, welcher emotionale Ballast gerade in Deutschland mit den Wörtern »Psychiatrie« und »Antidepressiva« verbunden wird. Spontane Reaktion so mancher alter Menschen: »Jetzt soll ich wohl zum Erbfall werden. Ich bin aber nicht verrückt!«
    Psychotherapie im Alter halte ich für absolut unsinnig – ein anspruchsvolles Buch – Philosophie! –, jede Partie Bridge und Mensch-ärgere-dich-nicht mit den Enkeln sind für das seelische Wohlbefinden zielführender. Aber ein sensibles Heranführen durch Hausärzte, Psychologen und Psychiater an das Phänomen Lebensunlust im Alter und das überzeugende Angebot, medikamentös behutsam helfen, besser: im Sinne von erneuter Lebensfreude begleiten und unterstützen zu können, muss die Botschaft sein. So selbstverständlich, wie nach einer Gallenblasenoperation oder einem frühen Oberschenkelhalsbruch alles getan wird, dass die Patienten schnellstmöglich wieder ihren gewohnten Alltag leben können. Hier ist kompetente Rehabilitation selbstverständlich. Aber bei der gebrochenen Seele verweigern wir diese so unverzichtbaren therapeutischen Maßnahmen zur Wiedereingliederung ins Leben. Dabei wissen wir längst, zu welch enormen Leistungen alte Menschen wieder fähig sind, wenn sie die notwendige Zeit in einer geriatrischen Klinik verbringen konnten. Auch volkswirtschaftlich ist jede Form
erfolgreicher Rehabilitation ein Gewinn, aber das scheinen inzwischen so abstrakte Größen zu sein, dass wir sie als Gesellschaft gedanklich lieber ausblenden.
    Altersdepression? Diese Zuschreibung eines Menschen ist eine Bankrotterklärung derer, die sie attestieren – in erster Linie für die Hausärzte, vor allem aber für unser Gesundheitssystem. Alte Menschen erbitten Zuwendung. Zuwendung kostet Zeit, eine Zeit, die den Ärzten nicht bezahlt wird. Fassen wir uns doch endlich an die eigene Nase: Wir blenden das Faktum Altern aus, wir schauen weg, weil wir uns so ohnmächtig fühlen. In der eigenen Familie mag es noch das eine oder andere liebevolle Miteinander geben, aber es wird zunehmend die Ausnahme sein, wenn wir nicht endlich kommunikative Strukturen schaffen, bei denen das Prinzip von Austausch und Belohnung im Mittelpunkt steht. Natürlich können wir uns selbst beschenken – Schokolade, Wein, gute Musik –, aber das kleine unerwartete Geschenk des Nachbarn, der Enkel und der Freunde hat einen sehr viel größeren Effekt, uns seelisch im Wortsinne zu berühren. So wie Geschenk und Zufall uns faszinieren, so verhält es sich auch mit Einsatz und Belohnung. Bleibt diese zu lange aus, lässt unser Interesse an der Sache nach. Die Folge ist, dass wir verzagen, also betrübt sind, oder, eine andere Bedeutung des Wortes: wir fürchten uns und werden ängstlich. Immer dann also, wenn die positiven Lebensimpulse ausbleiben, reagiert unser Gehirn – unsere Seele? – mit einer gewissen Verwirrung und Ängstlichkeit.
    Es gibt Menschen, die sich nach einem Schockerlebnis nie wieder erholen, wir nennen das Trauma. Die Erfahrung einer nicht aufzubrechenden Einsamkeit stelle ich mir auch traumatisch vor: die erschütternde Erkenntnis, ganz allein auf mich selbst geworfen zu sein. Mit Depression hat das nichts
zu tun, vielmehr mit Lebensangst – wie lange halte ich mich selbst in dieser Hilflosigkeit noch aus?
    Die Wirtschaft hat »die Alten« längst als Markt erkannt, aber leider stets mit einem Produktangebot, das eher mitleidiges Begleiten als lebensaktive Menschen im Fokus hat. Welche Fehleinschätzung!
    Viele Menschen leiden im Berufsleben unter Mobbing, auch Schüler. Zuerst wehren sie sich, ist aber der Angreifer übermächtig, vor allem wenn er als Gruppe auftritt, dann setzt eine Fluchtbewegung als selbstverständlich instinktiver Impuls ein – gefolgt von Angst, Angst vor erneuten Angriffen. Die Folgen sind dann der soziale Rückzug, Lebensverweigerung und irgendwann eine Desorientierung, welchen lohnenden Platz im Leben es überhaupt noch geben kann. Desorientierung und Depressiongehen dann eine
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