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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Autoren: Heinrich Mann
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sagte: »Ach nee.«
    »Man muß sich herausheben«, bestimmte Lohmann, »sich rein und hoch machen. Reiten, wie Parsifal. Ich werde wahrscheinlich bei der Kavallerie dienen und gleichzeitig die Hohe Schule erlernen. Es gibt, von den Zirkusleuten abgesehn, in ganz Deutschland keine hundert Personen, die Hohe Schule reiten können.«
    Nun lachte sie ganz offen.
    »Aber denn werden Sie ja selber ’n Zirkusfritze. ’ne Art entfernter Kollege von mir. Wie ich das finde.«
    Seufzend: »Wissen Sie noch, der Blaue Engel? Das war doch das Beste.«
    Lohmann stutzte.
    »Es kann sein«, versetzte er mit Überlegung, »daß das das Beste war. Die Epoche im ganzen.«
    »Zu der Zeit konnte man woll lachen, man brauchte sich noch nich rumzuschlagen mit der ganzen Bande. Wenn ich denke, wie wir zwei beide zusammen getanzt haben, un denn kam Unrat, und Sie mußten durch das rote Fenster … Wissen Sie woll, daß er noch immer mächtig scharf is auf Sie« – sie lachte erregt – »und Wurst von Ihnen machen möcht?«
    Sie horchte immer mit einem Ohr nach der Tür – und dabei sah sie Lohmann vorwurfsvoll an, weil er alles ihr überließ. Nun, dann wollte sie die Sache alleine machen. Sie hatte sich Lohmann in den Kopf gesetzt: vor allem, weil alle ihr erlaubt waren, und dieser einzige nicht. Das war ja nicht auszuhalten. Dann, weil ein bißchen trotzige Begierde noch aus den einfacheren Zeiten, deren sie jetzt mit Seufzen gedachte, dank Unrats Mißtrauen und seinem gräßlichen Haß wachgeblieben war und nun durch Lohmanns erhöhte Überlegenheit und seine fremdartige Distinktion gereizt ward bis zum Schwindel. Schließlich: weil es gefährlich war. Weil die Luft um sie her mit Katastrophen geladen war und die Herbeiführung ihres Platzens ein Kitzel war für die Künstlerin Fröhlich.
    »Un wie Sie damals gefühlvoll gedichtet haben!« sagte sie. »Das tun Sie gewiß gar nich mehr. Wissen Sie noch, Ihr Lied vom runden Mond, was ich mal gesungen hab, und die Leute lachten so dämlich?«
    Sie bog sich schwärmerisch über die Seitenlehne ihres Sessels, setzte die Finger ihrer Rechten auf die Brust und stimmte an, hoch und schwach: »Der Mond ist ruhnd, und alle Sterne scheinen –«
    Sie sang die ganze Strophe und dachte sich dabei, daß dies das einzige Lied auf der Welt sei, das sie nicht singen dürfe; und hatte dabei fortwährend Unrats Gesicht vor Augen. Es war fürchterlich; aber es war ein bißchen komisch geschminkt, und die Büchse »bellet« mit dem Spiegel hielt Unrat in der Hand.
    »Mein Herze weint, und alle Sterne lachen.«
    Lohmann, peinlich berührt, versuchte ihr zu steuern. Aber sie brach unaufhaltsam die zweite Strophe an.
    »Der Mond ist ruhnd …«
    Da krachte die aufgestoßene Tür, und Unrat stand, mit einem langen Schleichsatz, im Zimmer. Die Künstlerin Fröhlich kreischte hoch auf und flog in den Winkel, hinter Lohmanns Sitz. Unrat keuchte wortlos; und sie fand ihn genau so aussehnd, wie sie ihn sich beim Singen vorgestellt hatte. Er machte wieder die scheußlichen Augen von gestern. Warum hatte er auch keinen Kamillentee gewollt, dachte sie in ihrer Angst.
    Unrat dachte: nun sei es aus. Sein ganzes Werk, sein ganzes strafendes Vernichtungswerk sei umsonst, da zum Schlusse nun doch Lohmann bei der Künstlerin Fröhlich sitze. Er hatte sie ins Angesicht der ganzen Menschheit gestellt, daran gearbeitet, daß alles den andern Entrissene ihres werde – und inzwischen machte sie seine qualvollsten Gesichte zu Wahrheit, seine Gesichte von ihr und Lohmann, in dessen Zügen alles Schlimmste, Hassenswerteste sich zusammengedrängt hatte. Was blieb da noch? Es war aus mit der Künstlerin Fröhlich, und also aus mit Unrat. Er mußte sie zum Tode verurteilen, und damit sich selbst.
    Er hatte nichts gesprochen – und plötzlich saß er ihr an der Kehle. Er gurgelte dabei, als sei er selbst der Gewürgte. Eine Sekunde hielt er inne, und schöpfte selber Atem. Sie benutzte die Sekunde, um zu schreien: »Ihm is die körperliche Liebe widerlich, hat er so gewiß gesagt.«
    Unrat packte von neuem zu. Aber da zerrte es heftig an seinen beiden Schultern.
    Lohmann tat dies nur versuchsweise. Er wußte nicht, ob ihm hier tatsächlich eine Rolle zufiel; ihm war, als träumte ihm. So etwas gab es ja eigentlich nicht. In seiner klugen Vorstellung ging Unrats absonderliche Entwicklung glatt vonstatten und gewissermaßen entrückt, wie in einem Buch. Etwas so Handgreifliches kam darin nicht vor. Lohmann hatte sich aus
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