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Professor Bingos Schnupfpulver

Professor Bingos Schnupfpulver

Titel: Professor Bingos Schnupfpulver
Autoren: Raymond Chandler
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die Musik aus dem Radio und stellte fest, daß hinter der heruntergelassenen Jalousie Licht brannte. Er ging von Fenster zu Fenster, bis er einen kleinen Spalt in der Jalousie fand, durch den er mit einem Auge spähen konnte.
    Nachdem er sich den Kopf nach allen Seiten verrenkt hatte, sah er endlich etwas, das wie der Körper eines Mannes aussah, der neben dem Bein eines niedrigen Tisches auf dem Boden auf dem Rücken lag. Er richtete sich auf und winkte seinem Kollegen mit einer ruckartigen Bewegung der Hand. Dieser kam herangelaufen.
    »Wir gehen hinein«, sagte der Fahrer. »Du scheinst heute nicht gut zu sehen. Drinnen ist einer, und der tanzt nicht. Radio spielt, Licht brennt, Türen und Fenster zu, niemand öffnet, und drinnen liegt einer auf dem Teppich. Wenn du das alles zusammenzählst, was kommt bei dir unter dem Strich heraus?«
    Dies war der Augenblick, wo Joe Pettigrew die zweite Prise von Professor Bingos Schnupfpulver nahm.
    Sie gelangen in die Küche, indem sie das Schiebefenster mit einem Schraubenzieher aufstemmten, ohne dabei die Glasscheibe zu zerbrechen. Der alte Mann nebenan beobachtete sie dabei, ohne seine Gartenarbeit zu unterbrechen. In der Küche war es sauber und aufgeräumt, weil Joe Pettigrew dafür gesorgt hatte. Nachdem sie sich in der Küche befanden, stellten sie fest, daß sie genau so gut hätten draußen bleiben können. Es gab keine Möglichkeit, in den vorderen Wohnraum, wo das Licht brannte, zu gelangen, ohne die Tür einzuschlagen. Folglich standen sie eine Weile später wieder vorn auf der Veranda. Mit dem großen Schraubenzieher schlug der Fahrer des Streifenwagens eine Fensterscheibe ein, zog den Riegel zurück und schob das Fenster soweit in die Höhe, daß er sich hineinbeugen und den Haken des Insektengitters mit dem Griff des Schraubenziehers aus der Öse klopfen konnte. Dann stiegen sie ein, ohne etwas mit den Händen berührt zu haben, bis auf den Fensterriegel.
    Im Raum war es drückend warm. Nach einem kurzen Blick auf Porter Green ging der Fahrer zur Tür des Schlafzimmers, wobei er beim Gehen die Klappe der Revolvertasche öffnete.
    »Steck lieber die Hände in die Tasche«, sagte er zu dem jungen Polizisten über die Schulter. »Scheinst heute keinen guten Tag zu haben.« Er sagte das ohne Sarkasmus oder Vorwurf, aber die Bedeutung der Worte genügte auch so, daß der junge Polizist errötete und sich auf die Unterlippe biß. Er stand da und blickte auf Porter Greene hinab. Er brauchte ihn nicht zu berühren oder sich hinabzubeugen. Er hatte im Krieg mehr Tote gesehen als sein Kollege. Er stand völlig bewegungslos da, weil er wußte, daß er nichts tun konnte und daß alles, was er vielleicht hätte tun können, schon das Herumgehen auf dem Teppich, unter Umständen Spuren vernichten würde, auf die die Kollegen von der Spurensicherung angewiesen waren.
    Während er so dastand, glaubte er, trotz der Musik aus dem Radiogerät in der Ecke etwas zu hören, ein schwaches Klirren und das Geräusch eines Schrittes draußen auf der Veranda. Schnell drehte er sich um und trat ans Fenster. Er schob die Gardine zur Seite und blickte hinaus.
    Nein. Nichts. Sein Gesicht drückte leichte Verblüffung aus, weil er sich bisher auf sein gutes Gehör hatte verlassen können. Dann begann er sich über sich selbst zu ärgern.
    »Vorsicht, mein Junge«, sagte er sich. »Vor diesem Schützenloch schleichen keine Japaner herum.«

7
     
     
    Man konnte sich in einen Hauseingang stellen, die Brieftasche aus der Tasche holen, aus der Brieftasche eine Karte und diese lesen, und niemand würde die Brieftasche sehen oder die Karte oder die Hand, die sie hielt. Leute gingen auf dem Gehsteig vorbei, eilig oder gemütlich, das übliche Volk, das einem am frühen Nachmittag begegnete, und keiner schenkte einem auch nur einen flüchtigen Blick. Wenn sie doch etwas sahen, dann nur einen leeren Hauseingang.
    Unter anderen Umständen hätte das amüsant sein können. Gegenwärtig war es jedoch nicht amüsant, wofür es offensichtliche Gründe gab. Joe Pettigrews Füße waren müde. Seit zehn Jahren war er nicht mehr so lange zu Fuß gegangen. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt, als zu Fuß zu gehen. Porter Greens Wagen zu nehmen, war völlig ausgeschlossen gewesen. Der Anblick eines menschenleeren Wagens mitten im Verkehrsstrom hätte völlig ausgereicht, die den Verkehr regelnden Polizisten um den Verstand zu bringen. Die Leute wären aufmerksam geworden und hätten angefangen zu schreien.
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