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Prinzentod

Prinzentod

Titel: Prinzentod
Autoren: Beatrix Gurian
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mit einem Schmunzeln, »aber in zwanzig Jahren hört sich das nicht mehr so schlimm an.« Verblüfft muss ich feststellen, dass er recht hat. In zwanzig Jahren wäre er zweiundfünfzig und ich siebenunddreißig. »Wer weiß, was in zwanzig Jahren ist«, sage ich. »Vielleicht ist einer von uns dann schon tot.« Der Espresso kommt und der Nussbecher, den die Kellnerin selbstverständlich vor mich hinstellt. Ich schiebe ihn zu Kai, der sofort den langen Löffel in die sahnige Haube steckt und mir dann den vollen Löffel mit Eis und Sahne anbietet. »Hier, probier mal!«, sagt er, grinst zwischen seiner Zahnlücke wie einer von den kleinen Strolchen und berührt mit dem Löffel meine Lippen. Er wartet, bis ich sie geöffnet habe, und schiebt mir die kalten Kristalle ganz vorsichtig in den Mund. »Lecker oder?«, fragt er und Schattenwolken ziehen über seine grünen Augen. Ich nicke schwach, aber ich spüre, wie ich über und über rot werde. Das, was er da tut, kommt mir plötzlich unsagbar intim vor, wie Zungenküsse in aller Öffentlichkeit. Ich zucke zurück. »Hey, willst du nicht mehr?« Ich schüttele den Kopf und plötzlich kann ich ihn nicht länger ansehen. Die ganze Situation ist völlig absurd, das ist mir auf einmal klar. Ich will das hier tatsächlich nicht mehr. Das Lächeln verschwindet von seinem Gesicht. »Reden wir hier wirklich noch über das Eis?«, fragt er. Und als ich stumm den Kopf schüttele, sieht er mit einem Mal unendlich traurig aus und ich spüre, wie mein Herz in meiner Brust pocht, so heftig, dass er es sehen muss durch das T-Shirt. »Kai«, presse ich irgendwie hervor. »Du bist verheiratet...« Er unterbricht mich. ». . . und du die Freundin meiner Stieftochter.« Diesmal hole ich tief Luft und gebe meiner Stimme mehr Kraft. »Mit uns, das kann nichts werden, verstehst du das denn nicht?« Er bewegt seinen Kopf leicht und beugt sich vor. »Mein Kopf versteht es«, sagt er langsam. »Aber der Rest von mir nicht.« Mir wird mulmig. »Na klar«, versuche ich einen Scherz, und obwohl ich lache, verrät meine kieksige Stimme, wie wenig souverän ich mich fühle. »Weil ich ja auch so wichtig bin.« »Verdammt wichtig.« Nicht die Spur eines Lächelns. Er legt seine Hand auf meinen Unterarm. Meine Haut meldet Alarm in allen Zentren meines Körpers, mein Herz klopft rasend, mein leerer Magen zieht sich schmerzhaft zusammen und meine Haare stellen sich auf. Stell das ab, versuche ich diesem Körper klarzumachen, lass das! Es ist nur eine Hand, kein gefährlicher Stromschlag. Hör auf damit, ich bin der Chef, nicht du! Trotzdem rauscht es in meinen Ohren. Er lässt seine Hand dort, wo sie ist, kommt näher und flüstert etwas in mein Ohr, dabei berührt er mein Ohrläppchen, das jetzt auch verrückt spielt. Ich verstehe nichts von dem, was er sagt, rutsche in Panik ein Stück weg, greife nach meinem Espresso und stürze ihn hinunter. Hat er denn gar keine Angst, dass uns jemand beobachtet, hier auf offener Straße mitten in einem gut besuchten Café? Mir kommt es so vor, als würden uns alle anstarren.
    »Ich muss jetzt gehen!«, verkünde ich und bin stolz auf mich. Der Sieg des Geistes über das Fleisch oder so ähnlich. »Ich komme mit.« Er winkt der Kellnerin, wirft einen Schein auf den Tisch, steht auf, hilft mir mit dem Stuhl, reicht mir seine Hand und ich, völlig verdattert, weil dieser Mann nie so reagiert, wie ich das vermute, nehme sie. Wir gehen ein Stück die Straße entlang. Sobald ich das Gefühl habe, wieder allein gehen zu können, entziehe ich ihm die Hand. »Ich möchte jetzt nach Hause.« »Ich bringe dich. Mein Wagen steht dort drüben auf dem Lidlparkplatz.« Ich will etwas einwenden, aber er legt mir den Finger auf den Mund. »Keine Angst, wir sagen einfach, dass ich dich auf dem Weg aufgelesen habe.« Und nach einer kurzen Pause fügt er etwas leiser hinzu: »Lass mir wenigstens noch diese paar Minuten mit dir.« Wieder klingt er traurig und das macht mir das Herz schwer. Kai greift in die Tasche, klickt auf die Fernbedienung und hält mir schweigend die Beifahrertür auf. Als ich mich setze, kommt es mir plötzlich so vor, als hätte ich ein kostbares Geschenk bekommen und würde es freiwillig in den Schmutz werfen. Er geht um das Auto herum, steigt ein, steckt den Schlüssel in das Zündschloss, doch er dreht ihn nicht um. Für einen Moment herrscht Schweigen. »Das kann es doch nicht gewesen sein, oder?«, stößt er schließlich hervor. Er lässt seine Hände
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