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Prinzentod

Prinzentod

Titel: Prinzentod
Autoren: Beatrix Gurian
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abgestandene Luft gerochen habe, wäre ich um ein Haar wieder umgedreht. Doch nun bin ich froh, dass ich es nicht getan habe. Auf dem Rand der Badewanne liegen Kais Klamotten und darauf sein silbernes Handy, funkelnd wie ein Schatz in einer verrotteten Holzkiste. Ich muss mich auf die Zehenspitzen stellen, um in den Spiegel sehen zu können, aber ich will mich anschauen, denn irgendwie kommt es mir so vor, als müsste ich mich in der kurzen Zeit verändert haben. Was für ein Irrtum. Ja, meine Haare sind völlig verwuschelt. Und meine Lippen, die sind jetzt knallrot, beinahe so, als hätte ich sie aufspritzen und färben lassen. Aber sonst ist alles wie immer. Nicht mal meine Augen haben einen besonderen Glanz, eher sind da Schatten, als ob ich sehr müde wäre.
    Ich sehe mich nach einem Handtuch um, kann aber keins finden. Auf dem Wasserkasten der Toilette liegt ein Kamm mit Haaren in den abgebrochenen Zinken, den ich ganz sicher nicht berühren werde. Am Badewannenrand steht ein Duschgel, der Duschvorhang aus Plastik mufft. Hinter der Tür lehnt ein alter Besen voller Flusen an der Wand. Das einzige Schränkchen, das ich entdecken kann, ist unter dem Waschbecken, dort finde ich dann auch ein sauberes Handtuch. Ich dusche und muss aufpassen, dass ich auf dem glitschigen Badewannenboden nicht ausrutsche. Wieder angezogen gehe ich zurück zu Kai, der immer noch schläft. Er ist das einzig Schöne in dieser Wohnung. Das Schlafzimmer ist im sechseckigen Türmchen untergebracht, an den Wänden sind wie auch im Wohnzimmer dunkelbraune Schrankwände oder Schränke. Im engen Wohnzimmer gibt es noch zwei dunkelblaue Klubsessel aus Lederimitat, das schrecklich quietscht, wenn man sich daraufsetzt. Ich lasse mich neben ihn aufs Bett sinken und frage mich, ob unser Zusammensein für ihn auch so unglaublich war oder ob es für ihn vielleicht gar keine besondere Bedeutung hatte. Plötzlich schießen mir Tränen in die Augen und ich bin auf einmal ganz sicher, dass er eben nur Sex wollte und ich eine dumme Gans bin, die möglichst schnell von hier verschwinden und das Ganze am besten vergessen sollte. Ich stehe auf, suche meine Handtasche und stolpere zur Haustür. Als ich die Hand auf die Klinke lege, umschlingt sein muskulöser Arm meine Taille. »Hey, wohin willst du denn so schnell?«, flüstert er und dreht mich um. »Ich dachte...« »Was dachtest du?« Er zieht mich in seine Arme.
    So umhüllt von seiner Wärme komme ich mir wie eine Idiotin vor. »Na, dass du jetzt hattest, was du wolltest, und ic h gehen sollte. « Er drückt mich weg von sich und schaut mich betroffen an . »Glaubst du das wirklich von mir? « »Nein...«Ich werde rot . »Aber warum schleichst du dich dann weg? « »Ich, ich... « Er nimmt mich in den Arm und flüstert in mein Ohr. »Du has t Angst, das ist ganz normal. « Er hat recht, ich habe Angst. Ich versuche meine aufsteigenden Tränen wieder herunterzuschlucken. Ich habe Angst , weil ich weiß, dass es nicht in Ordnung war. All diese Lus t war nicht richtig . Wieder scheint er zu ahnen, was in mir vorgeht. »Meinst d u wirklich, dass so etwas Schönes falsch sein kann?«, fragt e r und sieht mich an. »Wozu hat man das Leben, wenn nicht , um zu leben?« Er greift nach seinem Hemd. »Was, wenn e s plötzlich vorbei ist und wir das Wichtigste versäumt haben? « Ich nicke unwillkürlich, so habe ich es noch nicht gesehen , aber irgendwie hat er recht . »Man muss im Jetzt leben, Süße, im Moment. Carpe diem . Nutze den Tag.« Er lacht vor sich hin, während er in sein e Anzughose steigt, und ich weiß nicht, warum, aber sei n glückliches Lachen macht mir wieder Angst . »Gehen wir, ja?« Er sieht sich in der Wohnung um, dan n sperrt er ab und versteckt den Schlüssel in dem staubgraue n Blumenkranz, wo er ihn auch hergeholt hat . »Jetzt kennst du alle meine Geheimnisse«, scherzt er, während wir nach unten gehen. »Ich muss noch zu einer Baustelle, Probleme mit der Haustechnik, sehr lästig. Soll ich dic h vorher nach Hause bringen? «
    Ich schüttele den Kopf. Ich brauche jetzt unbedingt ein paar Minuten für mich alleine, bevor ich Bernadette unter die Augen treten kann. Er winkt mir zu und geht dann in Richtung Lidlparkplatz, ohne sich noch einmal umzudrehen, und ich stehe dort allein auf dem Bürgersteig und denke daran, was er eben gesagt hat.
    Man muss im Jetzt leben.
    Doch wie soll ich das schaffen, nach all dem, was ich erlebt habe?

4. Kapitel
    I n den letzten zehn Tagen bin ich mir
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