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Prinzentod

Prinzentod

Titel: Prinzentod
Autoren: Beatrix Gurian
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stehen wir alleine da mit den zerfledderten Kartons. Sie sehen nicht sehr vertrauenerweckend aus, aber Papa hat sie umsonst vom Großmarkt bekommen, wo auch Luigi arbeitet.
    Wenn Papa wüsste, dass sein Freund einfach abgehauen ist, wäre er empört. »Oh Mann, Lissie, das wird hart, dieses Zeug allein nach oben zu schleppen!«, stöhnt Bernadette und deutet leidend hoch zu ihrer Dachwohnung. »Ist ja auch wieder typisch, dass keiner deiner Freunde Zeit hat, wenn’s richtig was zu tun gibt.« »Das schaffen wir schon«, beruhige ich sie. »Außerdem hält uns das fit. Los, fangen wir an.« Ich tue so, als würde ich meine Ärmel hochkrempeln, aber nur pantomimisch, denn wir haben beide ärmellose Shirts an. Trotzdem schwitzen wir, dabei ist es erst neun Uhr morgens und bis jetzt ist noch keine einzige Wolke am Himmel zu sehen. Die Lindenbäume, die rechts und links auf der Straße und auch im Garten stehen, spenden zwar etwas Schatten und verströmen einen intensiven Duft, aber kühler ist es unter ihnen deshalb auch nicht. »Wenigstens Nico hätte seine Basketballarme hiermit trainieren können!« Bernadette flucht leise und macht sich daran, den ersten Karton hochzuhieven. »Sei froh, dass du überhaupt Geschwister hast! Ich wünschte, ich hätte welche.« Ich folge Bernadettes Beispiel und schnappe mir den nächsten, kleineren, aber sehr schweren Karton. Wozu hebt man eigentlich Bücher auf, die man schon gelesen hat? Gerade als wir das kühle Treppenhaus betreten, rennt jemand die Treppen herab an uns vorbei. Es ist Violetta, Bernadettes ältere Schwester. Ich kenne sie nicht wirklich und weiß lediglich, dass sie Schauspielerin werden will, was sie nur zu deutlich heraushängen lässt. Ständig trägt sie schwarze Sachen und zitiert mit Vorliebe aus irgendwelchen Theaterstücken. »Danke für deine Hilfe!«, ruft Bernadette hinter ihr her und setzt den Karton auf der ersten Stufe schon wieder stöhnend ab.
    Violetta bleibt an der Tür kurz stehen, schaut zu uns herüber und grinst. »Ohne Schweiß kein Preis«, deklamiert sie dramatisch und fügt kichernd hinzu: »Ein bisschen Sport kann dir nur guttun, Dickerchen!« Sie winkt uns und zieht von dannen. Bernadette tritt wütend gegen den Karton. »Hey, Violetta ist ziemlich blöd, aber diese Kiste ist unschuldig.« Ich knuffe Bernadette liebevoll in die Seite. »Lass sie doch reden.« Bernadette beugt sich seufzend zum Karton, hebt ihn an und schleppt sich die Stufen hoch. »Trotzdem, allesamt Drückeberger, die ganze Mischpoke!«, mault sie. Ich verrate Bernadette lieber nicht, wie erleichtert ich bin, dass ihr Bruder Nico nicht aufgekreuzt ist. Schließlich habe ich mit Nico erst vor vier Monaten Schluss gemacht und bin nicht sicher, ob er mir das wirklich verziehen hat. Bernadette hat zwar behauptet, dass Nico längst mit einer anderen zusammen ist, aber in der Schule sehe ich ihn nur allein herumstehen. Meine Beziehung zu Nico ist merkwürdig gewesen, denn er ist ganz anders als die übrigen Jungen aus meinem Jahrgang. Dabei ist er sogar noch jünger als alle anderen, denn er hat eine Klasse übersprungen. Nico sieht super aus, er hat dunkle Locken und Augen wie schwarze Kirschen und am Anfang konnte ich es kaum glauben, dass er ausgerechnet mich, die eher mittelmäßige Lissie Bernardi, ausgewählt hat. Ich fand es unfassbar romantisch, wenn er sich mit mir an besonderen Orten traf, auf dem Abenteuerspielplatz im Westpark oder im Keller unserer Schule, in dem Sprachlabor aus den 70er-Jahren, das sie jetzt der Verrottung preisgegeben haben. Aber je länger Nico und ich zusammen waren, desto öfter hatte ich das Gefühl, dass er mich gar nicht richtig wahrnahm. Mal war er so wortkarg, dass er sich nicht die Mühe gemacht hat, mir zu antworten, mal redete er so viel, dass ich kaum zu Wort kam. Und immer waren wir allein, nie wollte er etwas mit meinen oder seinen Freunden unternehmen. Als er schließlich richtig besitzergreifend wurde, wusste ich, dass es mit uns nicht klappen würde, und ich habe Schluss gemacht, sehr zur Erleichterung von Papa. Papa war von Anfang an gegen Nico, was mich nicht weiter wunderte, denn Papa ist Italiener und meint, dass seine heilige Tochter Elisa, seine Lissie, seine Principessa, von Jungs allenfalls aus der Ferne angebetet werden sollte. Ich hatte Angst vor der Trennung, weil ich wusste, wie schwer Nico immer alles nimmt, doch ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen, denn er hat zu meinem Herumgestottere nichts gesagt.
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