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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße
Autoren: Will Berthold
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wurde ihr Stahmer doppelt fremd. Selbst seine Zurückhaltung wirkte aufdringlich. Der Raum wurde zum Gefängnis. Das Abenteuer zur Peinlichkeit.
    Sie spürte, daß der fremde Mann, dessen Ehefrau auf dem Papier sie hier zu spielen hatte, sie aus dem Dunkel heraus betrachtete.
    Sie fuhr herum, als sie seine Stimme neben sich hörte.
    »Ich hole eine Flasche Wein von unten«, sagte er lachend und deutete hinter sich.
    Einen Moment stand er noch am Fenster und sah in die Nacht, der er diente. Die Frau interessierte ihn nicht, nur um Formis ging es ihm. Bis jetzt hatte es geklappt. Wieder einmal hatte er als gehorsamer Befehlsempfänger funktioniert.
    Er kam zurück, machte Licht. Ira lag schon im Bett.
    »Hübsches Nachthemd«, sagte er, ohne hinzusehen. »Hören Sie gut zu«, fuhr er fort. »Wir haben den Mann gefunden.«
    »Der alte Mann?« fragte Ira, »… der Mann, der uns das Zimmer verschafft hat … Formis?«
    Er nickte. »Ich muß weg«, sagte er. »Sie bleiben inzwischen hier.«
    »Ich?« entgegnete Ira, »allein?«
    »Freunden Sie sich mit ihm an«, sagte er kalt. »Lassen Sie ihn nicht aus den Augen … Aber fallen Sie um Gottes willen nicht auf.«
    »Und was soll dann mit ihm geschehen?«
    »Nicht sentimental werden, Kind«, sagte er und schob ihr das Glas zu. »Die Entscheidung trifft die Zentrale.«
    »Wann kommen Sie wieder?«
    »Wenn alles klappt, in zwei Tagen.«
    »Und was liegt gegen den Mann vor?«
    »Weiß ich nicht genau«, entgegnete er gedehnt. »Betreibt einen Hetzsender gegen den Führer … Hier im Haus.«
    »Aber …«
    »Geht Sie nichts an«, erwiderte Stahmer abschließend. Er zwang sich zur Freundlichkeit: »Kann ich in Berlin etwas für Sie tun?«
    »Nein«, erwiderte Ira. »So weit fahren Sie weg?«
    »Schlafen Sie«, sagte er. »Und erzählen Sie Formis morgen, daß ich dringend nach Prag mußte. Prag … nicht Berlin … kapiert?«
    Das Licht war aus. Der Mann neben Ira schien fest zu schlafen. Er meisterte die Situation.
    Als Ira am nächsten Morgen erwachte, war der Platz an ihrer Seite leer.

2
    Die Maschine landete glatt in Tempelhof. Berlin empfing Stahmer trüb und kühl. Am Parkplatz wartete ein Wagen auf ihn. Mit Zivilnummer. Er brachte den Agenten in die Prinz-Albrecht-Straße. Zum Gebäude des Reichssicherheitshauptamtes. Aus einem alten Palais war die Hochburg des Verbrechens geworden. Im Zentrum von Berlin lag der Wilde Westen des Dritten Reiches. Der Gehirntrust der Bewegung.
    Ein Mann, den Freund und Feind haßten, beherrschte das Reich: Reinhard Heydrich. Ein brauner Despot. Ein Teufel in Menschengestalt. Sein Handwerk war der Mord, sein Motor die Macht. Darauf allein kam es ihm an. Dafür hätte er jedem gedient: den Roten wie den Schwarzen, den Freimaurern wie den Heiden, den Nazis wie den Juden. Dafür erpreßte, folterte, mordete, liquidierte, verbrannte und vergaste er. Sechstausend oder sechs Millionen. Mit der nämlichen Distanz. Mit demselben Haß, mit dem gleichen Erfolg … kalt bis in die manikürten Fingerspitzen.
    Er empfing seinen Agenten im Stehen. Er zeigte gute Laune. Das war gefährlich. Stahmer wußte es, er kannte ihn und blieb auf der Hut.
    »Na …«, sagte Heydnch, »geklappt?«
    »Jawohl, Gruppenführer.«
    »Ging ja rasch …« Heydrich lächelte, ohne das Gesicht zu verziehen. Er war groß und drahtig. In seinen wasserhellen Augen schwammen Verachtung. Seine Nase sprang aus dem schmalen Gesicht wie eine Waffe. Seine Lippen waren dünn und zynisch. Im Gegensatz zum übrigen Führerkorps, das er in seine Verachtung mit einschloß, besaß er Mut und Verstand. Es ging eine Faszination von ihm aus, vor der jedem graute. »Setzen Sie sich«, sagte er. Er bot mit einer spielerischen Bewegung seinem Vorzugsschüler eine Zigarette an. »Den Wachsabdruck vom Türschloß haben Sie mitgebracht?«
    »Ja.«
    »Und der Sender ist im Hotel?«
    »Genau.«
    »Gut«, erwiderte Heydrich. »Schaffen Sie den Kerl her.«
    »Nach Berlin, Gruppenführer?«
    »Wohin sonst?« versetzte Heydrich gleichgültig. »Ich will ihn lebend haben.«
    »Über die Grenze?«
    »Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben … Betäuben Sie ihn, legen Sie ihn in den Wagen … und wenn die Tschechen beim Übertritt Spektakel machen …« Seine Hand imitierte das Schleudern von Handgranaten. »Sie können noch einen Mann mitnehmen«, sagte der Chef des RSHA abschließend, »den Sender sprengt ihr in die Luft … Ist das Mädchen in Ordnung?«
    Stahmer nickte benommen.
    »Es
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