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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße
Autoren: Will Berthold
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zurückging. Wieder erfaßte sein Blick die Frau.
    Stahmer sagte laut und erregt: »Wir hätten doch zu Hause bleiben sollen … da will man einmal in einer Gegend Ski laufen, wo nicht jeder Hund das Hakenkreuz in den Schnee pinkelt …«
    Formis hob den Kopf. Er spürte sein Herz. Er war einsam und abgeschnitten. Wie wünschte er sich, mit einem zu sprechen, der aus Deutschland kam und ein Mensch geblieben war. In diesem Moment schämte sich Formis fast, daß ihn sein Leben zwang, in jedem Landsmann einen Spitzel, wenn nicht Mörder zu sehen.
    Er stand auf, kam langsam näher. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte er Stahmer leise, »ich spreche etwas Tschechisch.«
    »Oh, herzlichen Dank …«, versetzte der Agent, »ich würde ja gerne weiterfahren … aber meine Frau … Verdammt kalt heute.«
    »Mal sehen«, antwortete der Emigrant. Er ging auf den Besitzer zu. Rede und Gegenrede in Zischlauten, das Schicksal unterhielt sich in einer konsonantenreichen Sprache.
    Dann kam Formis zurück. »Sie können hier bleiben«, sagte er, »Zimmer neun.«
    Der Agent reichte ihm die Hand. »Stahmer«, stellte er sich vor. Er deutete auf Ira, »meine Frau …«
    »Formis«, erwiderte der Mann mit dem Gelehrtenkopf.
    »Wir danken Ihnen sehr«, versetzte die junge Frau.
    Formis nickte und ging zu seinem Platz zurück, las wieder die Zeitung, sah nach der Uhr.
    »Wie spät?« fragte Stahmer seine Begleiterin.
    »Fünfzehn Minuten vor acht.«
    Da war es. Die Erregung. Die Spannung. Das Fieber. Wie immer kurz vor dem Ziel. Unmittelbar vor dem Einsatz. Wenn ich recht habe, überlegte der Geheimagent, wird Formis in spätestens zehn Minuten diesen Raum verlassen, nach oben gehen, in irgendein Zimmer dieses Hotels …
    »Ich bin gleich wieder da …«, sagte er zu Ira.
    Er stand auf und ging hinaus. Er zündete sich im Hausgang eine Zigarette an. Eine zweite. Er hörte, wie hinter ihm die Tür zuschlug. Formis, dachte er. Sein Gehör hatte die Schritte des Emigranten bereits auswendig gelernt. Ein ganz schneller, unauffälliger Seitenblick genügte.
    Werner Stahmer ging aus dem Haus, lief gemächlich umher. Keiner achtete auf ihn. Während er sich bückte und scheinbar achtlos in den Schnee griff, streifte sein Blick über die Fassade.
    Zweiter Stock.
    Eckzimmer.
    Die Antenne.
    Die V-Leute hatten recht.
    Hier im Hotel war die Zentrale des Geheimsenders, der tagtäglich, Punkt zwanzig Uhr, über den Äther die Aufforderung, sich gegen Hitler zu erheben, nach Deutschland schickte.
    Stahmer warf den Schneeball weg, schlenderte langsam zurück, betrat den Gastraum noch vor zwanzig Uhr. Der Hotelier betrachtete ihn einen Augenblick mißtrauisch, aber dann schien er beruhigt zu sein.
    Ira löffelte zerstreut die Suppe. Für die Umstehenden raunte ihr der Begleiter eine Zärtlichkeit ins Ohr. Dabei sagte der Agent wirklich: »Wenn Formis hier wieder auftaucht, schaffe ich unser Gepäck nach oben … Versuche ihn in ein Gespräch zu verwickeln … klar?«
    Ira nickte.
    Genau fünfzehn Minuten später kam der Mann, der den Geheimsender betrieb, zurück. Seine Durchsage war beendet. Er ging an dem Tisch der beiden Gäste aus Deutschland vorbei, lächelte aber Ira höflich zu.
    »Entschuldigen Sie …«, wandte sie sich an den Mann mit dem ernsten Gesicht, »kennen Sie hier das Skigelände?«
    »Oh, ja …«, antwortete Formis.
    Ira lud ihn mit einer Handbewegung ein, sich an ihre Seite zu setzen.
    »Sind Sie Deutscher?«
    »Ja«, antwortete er, »aus Berlin …« Sein Blick wurde so fern, als suchte er das Herz Deutschlands.
    Stahmer stand auf. »Entschuldige, Liebste … ich bringe nur unsere Koffer nach oben …«
    Der Agent hatte Glück. Kein Zimmermädchen kam ihm in die Quere. Er nahm das ganze Gepäck auf einmal, trug es nach oben. In den ersten Stock. Dann wartete er an der Tür und horchte. Nichts rührte sich.
    Er huschte weiter. Zweiter Stock, zum Eckzimmer. Er betrachtete das Türschloß. Spezialanfertigung. Der Agent lächelte. Dahinter lag der Senderaum. Dann machte er mit kalter Routine den Wachsabdruck des Schlosses für Berlin, kam nach unten, sprach ein paar verbindliche Worte, gähnte, bedeutete Ira, daß sie sich zurückziehen sollten.
    Zusammen gingen sie nach oben.
    Doch dann stellte sich im Doppelzimmer die Verlegenheit ein. Für Ira wenigstens. Sie stand unschlüssig vor dem großen Spiegel über dem Waschbecken. Sie betrachtete das französische Bett mit der geblümten Daunendecke. Jetzt, in diesem Zimmer,
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