Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pringle vermisst eine Leiche

Pringle vermisst eine Leiche

Titel: Pringle vermisst eine Leiche
Autoren: Nancy Livingston
Vom Netzwerk:
dem Auto heraus. Die
Haustür war nur angelehnt, er brauchte keinen Schlüssel. Er hielt sich nicht
lange bei der Unordnung im Flur auf, sondern rannte gleich nach oben —
schneller, als sein Herz erlaubte. In seinem Arbeitszimmer galt sein erster
Blick den Wänden. Gott sei Dank! Ja, wirklich, Gott sei Dank! Von unten hörte
er Mavis jammern: «Sie haben bei dir eingebrochen!»
    «Es ist alles in Ordnung», rief
er, nach Luft ringend, «nichts passiert. Sie haben die Bilder unangetastet
gelassen.» Seine kleine Sammlung, die er liebevoll in vielen Jahrzehnten
zusammengetragen hatte. Späte Viktorianer, ein paar Gemälde aus der Zeit
Edwards VII., zwei, drei Vorkriegsbilder, Landschaften des Nordens aus der
Manchester-Schule. Er kannte jeden Strich, jede Farbnuance. Sein jeweiliges
Lieblingsbild stand gewöhnlich auf der Staffelei beim Schreibtisch. Zärtlich
fuhr er mit dem Zeigefinger an der rauhen Kante des Skizzenblockes entlang. «Es
ist nichts passiert», wiederholte er.›
    Unten im Erdgeschoß betrachtete
Mavis entsetzt das verwüstete Wohnzimmer. «Bilder, Bilder! Alles andere ist ihm
egal!» rief sie zornig.
     
    Durch die dicken Scheiben der
Kirchenfenster drang nur schwach das Mondlicht. Ein kratzendes Geräusch
unterbrach die Stille — eine der Steinplatten wurde vorsichtig angehoben. Der
Lärm beim Rückwärtskippen wurde durch ein Kniepolster gedämpft.
    Ein frischer Wind bewegte die
Zweige der umstehenden Bäume. Das klopfende Geräusch, das sie auf dem
Kirchendach verursachten, übertönte fast das leise Knistern unter dem Stroh.
     
    In der Einsatzzentrale saßen
Andrews und Mather noch bei der Arbeit. Niemand im Dorf nahm davon Notiz. Die
Straßenlaternen waren längst gelöscht, Wuffinge Parva lag in tiefem Schlaf.
    Im Gewölbe unter der Kirche
wurde ein Streichholz angerissen. Die Flamme flackerte, beruhigte sich aber,
als der Mann die Kerze absetzte. Er wollte ungestört sein, deshalb zog er die
Steinplatte über die Öffnung, bis auf einen Spalt, den er mittels des Kniepolsters
offenhielt. Er hörte, wie das Dachstroh anfing zu knistern, aber er glaubte,
reichlich Zeit zu haben. Er machte sich an die Arbeit.
     
    Detective Inspector Andrews
legte den Hörer auf. «Ich habe alles geregelt. William übernimmt morgen früh.
Er und Tyler werden gemeinsam hier die Stellung halten. Wir beide holen jetzt
unsere Pässe, packen schnell ein paar Übernachtungssachen zusammen und fahren
dann los. Ich habe alle zuständigen Stellen davon in Kenntnis gesetzt, daß es
eventuell eine Ausweisung geben wird.»
    «Gut.»
    «Also los!»
     
    Das Stroh schwelte erst eine
Weile, dann züngelten hier und da kleine Flämmchen empor. Das Feuer breitete
sich allmählich aus, es entwickelte immer mehr Hitze, bis die ersten Dachbalken
nicht mehr standhielten und in einem Funkenregen barsten.
    Die alten eichenen Kirchenbänke
waren als nächste dran. Der verzehrenden Gewalt der Flammen vermochte nichts
standzuhalten. Das anfängliche leise Knistern hatte sich inzwischen zu einem
tosenden Gebrüll gesteigert, aber der Mann im Gewölbe arbeitete unbeirrt
weiter. Er war fest entschlossen, seine Aufgabe zu Ende zu bringen.
     
    Die beiden Menschen lagen eng
umschlungen, rundherum befriedigt und wunschlos glücklich. «Du warst ja so
überaus lebhaft heute abend», kicherte Mavis. «Ich dachte, du würdest dich nach
dem Einbruch eher niedergedrückt fühlen.»
    «Nun, schließlich habe ich es
über eine Woche lang entbehren müssen.»
    «Ja, auf dem Land mochte ich
nicht», gab sie zu. «Wegen der Tiere.»
    «Die tun es da aber!»
    Sie lachte. «Ich weiß. Aber ich
hatte immer Angst, sie könnten uns dabei zusehen.»
    «Mavis, unser Zimmer lag im
ersten Stock. Glaubst du, sie würden extra eine Leiter hochklettern?»
    «Nein, natürlich nicht, aber es
können sich doch welche im Dachstroh versteckt haben», sagte sie ein wenig
beleidigt. «Und stell dir bloß mal vor... gerade, wenn du so richtig dabei
bist, starrt dich plötzlich ein Dachs an und bleckt seine Zähne.»
    «Dachse leben in einem Bau in
der Erde.»
    «Ja, das erzählen sie im
Fernsehen. Aber wer sagt denn, daß es nicht auch welche gibt, die Dächer
bevorzugen — eine andere Art eben, die überhaupt noch nicht entdeckt ist. Die
sitzen vielleicht schon ganz lange da oben und lachen sich kaputt über uns.»
    «Dachse lachen auch nicht.»
    «Woher willst du denn das schon
wieder wissen?» Aber sie wollte jetzt keinen Streit. «Das mit dem Einbruch tut
mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher