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Prickel

Prickel

Titel: Prickel
Autoren: Jörg Juretzka
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benötigt. >Hinterm Deich 44< sollte mit ein ganz klein bißchen Geduld auch so zu finden sein. Das sind so Aufgaben, die kann ich voll der Spürnase meiner Carina überlassen und mich in der Zeit ganz meiner jeweiligen geistigen Tätigkeit widmen.
    Worüber wir am längsten diskutiert hatten, war die Frage, warum nicht jetzt, wo Det identifiziert war, einfach die Bullen informieren und kalt abwarten, bis sie ihn packen? Mitten drin war eine Art von Erinnerungsflash über Prickel gekommen. Er hatte die Hand gehoben, alles war verstummt und er hatte gesagt: »Ich sollte etwas unterschreiben, da drinnen. Mein Einverständnis geben. Zu einer Operation. Eine Operation ... am Gehirn.« Und der Schweiß war ihm nur so runtergelaufen.
    Darum war ich jetzt hier. Ich wollte nicht nur den jungen Blandette, ich wollte sie beide hinter Gittern sehen.
    Die Vögel lärmten, Licht sickerte allmählich über die Landschaft, vom nahen Flughafen in Lohhausen konnte man den ersten Jet in den Himmel dröhnen hören.
    Die Carina parkte in der nächsten Seitenstraße, ich lag, eng an die Hauswand geschmiegt, auf dem Rücken unter einem Busch mit kindskopfdicken, knödelförmigen Blüten, möglicherweise ein Rhododendron. Eine Katze schnürte vorbei, eine Drossel pickte in einigem Abstand im Erdreich herum, einen Strauch weiter begann ein Igel behaglich zu schnarchen.
    Irgendwo im Haus rauschte eine Spülung.
    Aus dem Geräteschuppen von Haus Nr. 38 oder 40 hatte ich mir eine Latzhose, einen Hut und ein Paar Gummistiefel ausgeliehen. Und eine Rosenschere. Nur für den Fall. Der Busch verdeckte mich im Augenblick ganz gut, doch irgendwann würde ich daraus hervorkrauchen und mich wieder auf den Weg machen müssen, und neugierige Nachbarn gibt es überall.
    Die Spülung rauschte noch mal, auf eine abschließende, endgültige Art. Wasser zischte kurz aus einem Hahn und pillerte in das Abflußsieb. Eine Türe klappte. Badelatschige Schritte schlappten. Mit dem leicht saugenden Schmatzen der Magnetdichtung wurde der Kühlschrank geöffnet. Und wieder verschlossen. Ein leises Klick und Musik begann verhalten zu dudeln. Wenn man das Musik nennen kann. Es war einer der Sender, den Tapezierer und Anstreicher immer hören. Es braucht einen starken Magen, sich sowas schon zum Frühstück anzutun. Schwere Schritte kamen die ächzende Treppe herab. Ein energisches Klicken und das Gedudel erstarb.
    »Ist er zurück?« fragte eine tiefe, leise Stimme. So leise, wie man es auf Seminaren für Führungskräfte lernt. >Sprechen Sie leise, dann muß man Ihnen genauer zuhören<. Ein billiger Trick, doch Victor Blandette hatte ihn sich fürs Leben angeeignet.
    »Ja«, antwortete eine irritierend hohe, schwankende Frauenstimme, »aber er schläft noch. Es ist sehr spät geworden, gestern Nacht, und er sah schlimm aus. Ganz verkratzt und die Sachen völlig zerrissen .«
    »Und?« Es hing in der Luft, dieses >Und?<, freischwebend, und das trotz seines Gewichts.
    »Das . das erklärt er dir am besten selbst .«
    Ein Grunzen. »Er hat versagt.«
    »Er hat getan, was er konnte, aber -«
    »Wie ich es vorausgesehen habe.«
    »Er sagt, sie seien zu mehreren gewesen. Und bewaffnet.« »Hol ihn her.«
    Praktisch, so ein Stethoskop, doch ein Nachteil war, daß es nicht von allein am Glas der Terrassentüre haften blieb. Mir drohte der Arm einzuschlafen. Ansonsten war ich hellwach. Und ganz Ohr.
    »Was hast du mit ihm vor?«
    »Ich werde ihn mit in die Klinik nehmen.«
    »Du meinst . du willst .?«
    »Ja.«
    »Aber . aber wenn er statt dessen seine Tabletten wieder nimmt .«
    »Eva-Maria, wir hatten dieses Gespräch schon tausendmal. Wann begreifst du endlich, daß wir am Abgrund stehen? Daß dein Sohn dabei ist, uns mit hineinzureißen? Daß es ein Ende haben muß? Muß! Und dazu gibt es nur eine Methode. Sie wird ihn von seinem Zwang befreien und gleichzeitig auch von den ... quälenden ... Erinnerungen.«
    »Es wird ihn zum Pflegefall machen.«
    »Unsinn. Es wird ihm nur seine Gewalttätigkeit nehmen.«
    »Versprich mir, daß es ihn nicht zum Pflegefall werden läßt.«
    »Eva-Maria.« Ein Tonfall, wie ihn nur die unschätzbare Praxis einer jahrzehntelangen Ehe zustandebringt.
    »Geh jetzt, und hol ihn mir her.«
    Die Badelatschen schlappten davon, und ich nutzte die kurze Pause, um mich auf die Seite zu drehen und den anderen Arm hochzurecken. Als alles wieder in Positur war, wurde drinnen schon weitergesprochen. Eine dünne, mäkelige Männerstimme war hinzu
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