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Prickel

Prickel

Titel: Prickel
Autoren: Jörg Juretzka
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spricht, dachte ich. »Soll das heißen, du hast ihn geheilt? Mit einem einzigen Joint? Spricht er jetzt immer?« fragte ich. »Völlig locker und aus der Hüfte? Als wäre nie was gewesen?« Die Antwort war nein. So einfach war es nicht. Er mußte schon ein bißchen was geraucht haben. Aber dann ging es. Wie seltsam, dachte ich. Wenn ich richtig einen im Auge habe, kriege ich die Zähne ja gar nicht mehr auseinander. Außer, um Schokolade zu mummeln, heißt das. Scuzzi erklärte es mir. Auf seine Art.
    »Stell dir vor, du kommst zwei Minuten vor Ladenschluß in den Supermarkt gerannt, auf Pille, hast erstmal vergessen, was du überhaupt kaufen wolltest, bevor es dir doch wieder einfällt: Joghurt. Ah, ja. Und dann stehst du vor dem Kühlregal und es gibt 80 Sorten und das gesamte Personal wartet schon an der Tür und macht >Hrm, mh<.« Er zog ein Gesicht momentaner, hochgradiger Überforderung. Das Gesicht eines Schlafwandlers, der auf der Mittellinie der Autobahn wieder zu sich kommt. »Nur, daß es ihm eben immer so geht. Von morgens bis abends. Komplett strubbelig, schon bei den simpelsten Anforderungen. Und jetzt, wenn er schön einen gepafft hat, findet er den gesuchten rechtsdrehenden, probiotischen, kalorienreduzierten Yakmilch-Wellness-Drink in der umweltschonenden Nachfüllpackung auf den ersten Griff.« Er strahlte. »Den mit extra Calcium und Vitamin C«, sagte er noch, »aber ohne Zuckerzusatz.«
    »Und das hat er dir genau so erklärt?«
    »Na, sagen wir, er hat's versucht. Den Rest habe ich mir ein bißchen zusammengereimt.«
    Aus irgendeinem Grund erleichterte mich das. Denn wenn Prickel wirklich eine Kehrtwendung vom strapazierten Stammler zum rasanten Rhetoriker gemacht hätte, wäre Scuzzi im gleichen Dreh vom Dealer zum Healer aufgestiegen, und so sehr ich Oberhausen auch eine bessere Zukunft wünsche, ein neues Lourdes muß ja nicht gleich draus werden.
    Das schwere Atmen im Hintergrund durchsetzte sich mehr und mehr mit Stöhnen. Die planschenden Geräusche bekamen einen merklich rhythmischen Charakter. Fragend sah ich Scuzzi an.
    »So geht das jetzt schon seit Stunden«, meinte er und zupfte pümm den Korken von seiner Calvadosflasche.
    »Jedesmal, wenn einer von beiden rauskommt, um bei mir einen Joint abzuholen, sehen sie quaddeliger aus.«
    Er spricht, dachte ich, aber zu sprechen ist er nicht. Crazy.
    »Macht dir das nichts?« fragte ich mit einem Nicken Richtung Bad. Das Wasser schwappte jetzt recht ordentlich und Patsys Stöhnen und Japsen hallte beeindruckend von den Kacheln wider.
    »Gott, was werde ich sie vermissen«, antwortete Scuzzi und nahm einen langen, nachdenklichen Schluck aus der Pulle. »Alle beide«, fügte er hinzu und hielt mir die Flasche hin, die ich ablehnte. »Aber noch sind sie ja da«, schickte er säuerlich hinterher. Dann sah er mich an und runzelte die Stirn. »Was ist denn mit deinem Hals passiert?«
    »Seltsame Geschichte«, sagte ich und plötzlich, wie ich so anfangen wollte, sie zu erzählen, überkam mich ein nachträgliches Großes Zittern, und eh ich mich versah hatte ich dann doch die Calvadosflasche am Hals. »Erzähl ich dir gleich.« Vorsichtig stellte ich die Flasche zurück, streckte die Rechte mit gespreizten Fingern von mir und bekam das Flattern einigermaßen unter Kontrolle. »Sag mir erst, wo ist dieses gerahmte Foto, das ich kürzlich hier habe liegenlassen?«
    »Oh, das? Hier, in der Schublade. Prickel bat mich, es wegzutun. Konnte den Anblick des guten Doktors nur schwer ertragen, wie mir schien.«
    Er reichte es mir rüber, ich warf einen Blick drauf und drehte es dann nach hinten. Zwei Drathtbügel hielten Rahmen, Glas und Pappe zusammen. Mit Mühe löste ich die beiden Bügel und zwängte einen Daumennagel unter den Karton der Rückwand. Jeden Augenblick jetzt würde ich mich, meine Vermutung, meinen kolossalen Verdacht bestätigt sehen oder aber das Foto samt Rahmen, Glas und Pappkarton in die Ecke feuern und dem Calvados auf einen Hieb den Rest geben. Warum war der gute Doppeldoktor so scharf darauf gewesen, dieses Bild wiederzubekommen? Ich hob die Pappe an.
    Mit einem linkischen, gequält wirkenden Grinsen sah ein Frettchen von einem Halbwüchsigen aus blassen Augen zu mir hoch. Des Doktors Sohnemann. Wie hieß er noch? Ich hatte es in der Personalkte gelesen ... - Jean-Baptiste. Richtig. Jean-Baptiste. Nicht gerade einfach, daraus einen halbwegs zündenden Spitznamen zu formen. Ähnlich wie bei Kristof. Blieb der Nachname. So wird
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