Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prickel

Prickel

Titel: Prickel
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
gekommen.
    »Was is 'n los?« beschwerte sie sich. Ich hatte ihn nie sprechen gehört, kein Wort, und doch wußte ich sofort, wem diese Stimme gehören mußte. Irgendwie erschien mir bei ihrem Ertönen sofort wieder die schmale, eidechsenhafte, huschende Gestalt, mit ihrem etwas zu groß wirkenden Kopf und diesen flammenden Augen . Da war er also. Wie ich mir gedacht hatte. Det. Nur ein paar Meter von mir. Über mir. Wollte gerade noch ein bißchen Triumph aufkommen, fühlte ich mich auf einmal nur noch scheiße, knapp an Speichel.
    Niemand antwortete. Einzig die Kaffeemaschine prötschelte unbekümmert vor sich hin.
    Schließlich brach der Alte das Schweigen. »Ich habe dir eine letzte Chance gegeben«, stellte er tonlos fest. »Und du hast sie vertan.«
    »Aber ich bin gestolpert! Es war dunkel! Sie waren zu dritt! Und bewaffnet! Nächstesmal kriege ich ihn!«
    »Ich möchte keine Ausflüchte hören!«
    »Er hat immer ein Fenster offen! Für seine Katze! Es ist ein Kinderspiel, glaub mir! Noch heute Nacht -«
    »Schweig!«
    Ich schluckte trocken. Was für ein Gefühl mochte das sein, mit einer dichtgezwirbelten Drahtschlinge um den Hals und ihm auf der Brust aus dem Schlummer zu erwachen? Ich schluckte noch mal. Und alles für die Katz.
    »Er hat dich jetzt gesehen. Und er hat immer noch das Foto! Selbst ein unfähiger kleiner Schnüffler wie dieser Kryszinski wird irgendwann einmal eins und eins zusammenzählen. Wir können unmöglich zulassen, daß alles . ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird. Wir müssen den Schaden begrenzen. Doch vorher wirst du mit mir in die Klinik kommen. Und zwar noch heute.«
    »Ha! Und dann?«
    »Wir unterziehen dich einer Therapie, die dich von deinen Zwangshandlungen kuriert. Das hätten wir schon vor langer Zeit einleiten sollen. Gleichzeitig werde ich dafür sorgen, daß dir ein Kollege Schuldunfähigkeit bescheinigt. Damit wäre für den Fall vorgesorgt, daß man dich mit dieser Geschichte in Bottrop konfrontiert -«
    »Du willst mich in die Klapse stecken?! Ist es das? Am besten noch deine eigene? Aber niemals!« Geschirr klirrte, als eine Faust eine Tischplatte zum Beben brachte.
    »Aber Junge«, mischte sich die hohe, in gefährlicher Nähe zur Hysterie einherjodelnde Stimme ein, »hör doch erstmal zu!«
    »Nein, nein, nein! Nie und nimmer gehe ich mit. Ich weiß, was du vorhast. Nämlich das, was du mit den ... den anderen gemacht hast. Kleine Experimente zum Wohle der Menschheit. Und, was ist dabei herausgekommen? Schwachsinnig, das sind sie geworden.«
    Mein Arm wurde taub und steif, doch ich wagte es nicht, mich zu rühren. Ich wagte es kaum, zu atmen. Mein Puls wummerte in meinen Ohren.
    Das Prötscheln der Kaffeemaschine ging in ein Keuchen über, schwächer werdend. Kaffee war fertig.
    Als Victor Blandette weitersprach, klang seine Stimme nahezu beiläufig. »Was schlägst du statt dessen vor?« fragte er.
    Ich meinte, ein Achselzucken hören zu können.
    »Erstmal verreise ich ein bißchen. Wer weiß, vielleicht packen sie Prickel ja wieder und alles verläuft im Sand.«
    Aber nicht mit Kristof.
    »Aber Junge, wo willst du denn hin? Und wovon willst du leben?«
    Gleich geht sie und holt ihm schon mal die gepünkelte Strickjacke, dachte ich.
    »Wovon er bis jetzt auch gelebt hat«, grummelte der Alte verächtlich. »Von meinen Schecks.« Dann, nach einem kurzen Moment der Stille: »Wie auch immer. Aus dem Haus muß er. Also geh und pack ihm ein paar Sachen zusammen.« Badelatschen schlappten folgsam von dannen. Wieder Stille. Die lastende Art. Plötzlich, unter dem gestreßten Quietschen hochbelasteter Gummisohlen, kamen schwere Schritte auf mich zu. Es kostete mich eine phantastische Anstrengung, mich nicht zu rühren, nicht aufzuspringen und davonzurennen. Mit einem protestierenden Quieken wendeten sie und entfernten sich wieder. Meine Atmung kehrte zurück. Noch ein Quieken, näherkommende Schritte. Mir schwante, was uns bevorstand: Der hocherhobene Zeigefinger.
    »Nun, es ist nicht zu leugnen, daß die bisherigen Methoden in mancher Hinsicht zu wünschen ließen. (Quiiek). Obwohl im Grunde erfolgreich, verursachten sie bei manchen Patienten Traumata, die langwierige Reha-Maßnahmen nötig machten. (Quiiek). Doch seit uns die Lasertechnik zur Verfügung steht, sind solche Operationen mit geradezu phantastischer Präzision -«
    »Du willst mir den Schädel aufsägen. Du willst in meinem Gehirn herumfuhrwerken. Du mußt verrückt sein, zu glauben, daß ich da
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher