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PR2632-Die Nacht des Regenriesen

PR2632-Die Nacht des Regenriesen

Titel: PR2632-Die Nacht des Regenriesen
Autoren: Wim Vandemaan
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elektromagnetischen Wellen ernährten.
    »Das ist oki«, hatte DayScha ihn belehrt. »So können sie Fotosynthese betreiben.«
    »Es heißt nicht oki «, hatte er entgegnet, »sondern okay. « Sinnlos, natürlich. Sie würde es nie lernen. Sie wollte es gar nicht lernen.
    »Oki. Du weißt, was ich meine«, verteidigte sie sich mit ihrer Katzenfreundlichkeit.
    »Weiß ich nicht. Woher soll ich wissen, was in deinem Schädel vorgeht?«, murmelte er und beschirmte mit der Hand die Augen, um ihr zu zeigen, dass ihn das neue Schauspiel am Himmel mehr interessierte als jede Unterhaltung mit ihr.
    Ein Schauspiel war der Sonnenpulk-Untergang allerdings, das konnte auch DayScha nicht leugnen. Die Lichtflocke über Terra – zu seiner Überraschung hatte er etwas wie Stolz gespürt: nicht, weil die Menschen keinen Anlass sahen, vor irgendwelchen Aggressoren in die Knie zu gehen, selbst wenn diese Angreifer eine Sonne ausknipsen konnten, als wäre sie ein Gartenlampion nach dem Kindergeburtstag.
    Sondern weil die Menschheit ihre Unabhängigkeit selbst von diesem Zentralgestirn bewies. Wir sind erwachsen geworden, hatte er gedacht.
    Ungeachtet der Tatsache, dass er persönlich mit seinen 15 Jahren alles andere war als erwachsen.
    Die Lichtflocke. Ein Farbenspiel in Rot und Gold, ein langsames Hinabtropfen ihres neuen, autonomen Gestirns in das Land hinter dem Horizont. Nicht mehr das ballonartige Aufblähen Sols, sondern ein allmähliches Verwandeln der Komponenten des Pulks: erst in gelb glänzendes Metall, dann in rote Tropfen Blut.
    Endlich das Verlöschen.
    Was hätten die Ureinwohner dieser Halbinsel, die Maya, aus diesem Spektakel gemacht? Diese Urmenschen mit ihren befremdlichen Gottheiten: der gefiederten Schlange, dem glotzäugigen Regendämon mit seinen Jaguarzähnen, dem Totengott, der auf der neunten und untersten Ebene des Totenreiches residierte?
    DayScha fand sie übrigens allesamt amüsant, diese Götter der Maya. Prima. Sollten sie sich doch aus der Unterwelt hervorwühlen und Asyl auf Pspopta suchen, DaySchas Heimatplaneten.
    Wäre die Cheborparnerin den präastronautischen Mayapriestern in die Hände gefallen, hätte sich ihre Belustigung in engen Grenzen gehalten. Sie waren erfinderisch gewesen, diese Priester, und sie hätten sich im Angesicht der untergehenden Lichtflocke blutrünstigeZeremonien ausgedacht: einen Karneval mit heiligem Bauchaufschlitzen und Herzausreißen und frommem Ertränken in einer Cenote.
    Einer Cenote wie der, an deren Rand sie nun saßen: angefüllt mit stillem Wasser, neun oder zehn Meter tief.
    Cenotes entstanden, wenn die Dächer über Kalksteinhöhlen einbrachen und sich mit Süßwasser füllten. Die meisten Cenotes von Yucatán standen unterirdisch miteinander in Verbindung – das größte Unterwasserhöhlensystem Terras.
    Der letzte Schleier aus rotem und kupferfarbenem Licht, das die Flocke hinter sich her- und unter den Horizont gezogen hatte, war lange erloschen. Der Himmel war schwarz und sternenlos wie die Haut eines vorsintflutlichen Ungeheuers. Geronimo atmete tief und ruhelos. Die Finsternis war beinah makellos.
    Sie saßen wenige Meter von ihrem Zelt entfernt, einem halbkugligen Geodäten. Einige Kilometer im Norden lag die Küste, der Golf von Mexiko. Weiter im Westen die Zona Mexiko, eine in weiten Teilen zerstörte Metropole.
    Er hörte ein Planschen. Er starrte in die Finsternis und lauschte.
    »Geronimo Abb. Mach endlich Licht!«, sagte DayScha. »Oder ich mach Licht.«
    »Pscht«, flüsterte Geronimo. »Ich lass mir kein Ultimatum stellen. Außerdem verjagst du ihn mit deinem Gejohle, alte Frau.«
    »Wennschon«, sagte DayScha, die mit ihren 23 vollendeten Lebensjahren auch bei ihrem Volk nicht unbedingt zu den Greisinnen zählte. Wie alt wurden Cheborparner? Ab wann galten sie als alt?
    Ihre Stimme klirrte wie Glas, das auf dem Boden zerbrach. Schon unter normalen Umständen hatte Geronimo diese Stimme als zu schrill empfunden. In der Finsternis war sie von geradezu obszöner Lautstärke.
    »Pscht«, machte Geronimo wieder. Dann presste er endlich mit dem Daumen gegen den Photonencracker. Der Cracker knickte zwischen Zeige- und Mittelfinger ein. Unmittelbar darauf leuchtete er.
    Es war ein türkises, lebendiges Licht, beinahe magisch. Die transparente Folie des Crackers verstärkte den Eindruck noch, ein sacht loderndes Feuer zwischen den Fingern zu halten. Ein kaltes Feuer allerdings. Geronimo verschob den Cracker ein wenig, bis er ihn zwischen Daumen und
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