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PR NEO 0039 – Der König von Chittagong

PR NEO 0039 – Der König von Chittagong

Titel: PR NEO 0039 – Der König von Chittagong
Autoren: Michael Marcus Thurner
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State.
    Hinter den Tresen der Geschäfte saßen Menschen, die am Grün frischer Blätter knabberten und mit leeren Augen in die Welt hinausstierten.
    »Wenn man sich hier umsieht, könnte man meinen, dass Cocabetta niemals verboten worden war«, sagte Tako Kakuta bedrückt.
    Cocabetta ... das Rohprodukt war eine genetisch veränderte Abart der Coca-Pflanze, die in riesigen Plantagen im südchinesischen und indischen Raum gezüchtet und über dunkle Kanäle vertrieben wurde. Ein Teufelszeug, das betäubte und die Nutzer rasch in eine Suchtabhängigkeit trieb, aber an jeder Ecke für wenig Geld zu haben war.
    »Verbote?« Wuriu Sengu schüttelte den Kopf. »Du vergisst wohl, wo wir sind.« Er wich einer bunt schillernden Lache aus. »Wer sollte die Einhaltung von Regeln und Vorschriften denn kontrollieren? Etwa die da?«
    Er nickte in Richtung zweier Beamter, die bunte Uniformen trugen und lässig gegen den Tresen eines Imbissstandes lehnten. Sie tranken eine klare Flüssigkeit und unterhielten sich mit Männern, deren Sonnenbrillen verspiegelt, deren Körper vernarbt und deren Waffen offen sichtbar waren. Nachdem die Männer ausgetrunken hatten, tauschten sie Dinge aus. Geld gegen weiße Päckchen. Weiße Päckchen gegen gebündelte Unterlagen. Gebündelte Unterlagen gegen Datenträger. Datenträger gegen Geld. Und das in aller Öffentlichkeit, ohne sich um die Menschen in ihrer Umgebung zu scheren.
    Kakuta sagte nichts. Er kannte Kreaturen wie diese zur Genüge. Er hatte eine erbärmliche Kindheit gehabt und war in den nuklearverseuchten Regionen der Präfektur Fukushima aufgewachsen. Der Abschaum einer ganzen Generation war dort groß geworden.
    Er fühlte Angst. Diese Leute waren bereit, jedem eine Kugel in den Kopf zu jagen. Oder ein Messer zu werfen, mit Schleuder und Steinmurmel zu töten, jemandem mit einem angeschliffenen Stück Metall den Schädel vom Rumpf zu trennen.
    »Wir fallen auf«, flüsterte Wuriu Sengu. Er wischte sich immer wieder Schweiß von der Stirn, obwohl das Februarklima noch lange keine tropischen Temperaturen mit sich brachte.
    »Wir müssten die Schuhe ausziehen, uns im Dreck wälzen und uns ein paar Zähne ziehen lassen, um annähernd so verlottert auszusehen wie die hiesigen Einwohner.« Kakuta schüttelte den Kopf. »Man würde uns dennoch auf den ersten Blick ansehen, dass wir nicht von hier sind. Die zu helle Haut ...«
    »... und vor allem die aufrechte Körperhaltung«, ergänzte Sengu. »Diese armseligen Leute sind die Kinder moderner Sklaven, und sie werden niemals etwas anderes sein.«
    Wann hatte der Bürgerkrieg in den Chittagong Hill Tracts, im weitgehend urwaldbelassenen Hügelland westlich der Stadt, seinen Höhepunkt erreicht? Wann hatte Bangladeschs Militär, angeführt von nationalistischen Generälen, einen Genozid an den dort ansässigen indigenen Jumma verübt? – Es war keine zehn Jahre her. Entwurzelte Flüchtlinge waren in die Provinzstadt geströmt. Hatten Zuflucht gesucht oder sich rächen wollen. Hatten aufgebaut oder zerstört, hatten den Kämpfen entkommen wollen und einen Bürgerkrieg entfacht.
    Als Kakuta vor seiner Abreise das nüchtern gehaltene Dossier über Bangladesch gelesen hatte, war ihm übel geworden. So viele Tote, so viel Gewalt, so viel Hass. Wie sollte man in einer derartigen Atmosphäre jemals Frieden schaffen?
    Wir könnten es schaffen!, ergänzte Kakuta in Gedanken. Wir. Jene, die Perry Rhodans Vision von einer geeinten Menschheit verinnerlicht haben und daran glauben, eine Zukunft im großen, weiten Ozean der Sterne zu finden. Und nicht nur dort, sondern auch hier. Geben wir den Menschen etwas, woran sie sich klammern können. Geben wir ihnen Glauben an eine Zukunft. Das ist, was ich hier am allermeisten vermisse.
    Ein Junge lief ihnen entgegen. Er trug den zerlumpten Rest einer Jeans, die um seine dünnen Beine schlackerte. Er zerrte an Kakutas Hemdsärmel und piepste aufgeregt: »Jana gana mangal dayak! Jana gana mangal dayak!« Immer wieder, immer drängender.
    »Tut mir leid, Junge; ich versteh dich nicht«, log Kakuta auf Englisch und begleitete seine Worte durch die entsprechenden Gesten. Der injizierte Translator hatte keinerlei Probleme, den Slang des etwa Zwölfjährigen zu übersetzen. Doch das brauchte der nicht zu wissen.
    Der Kleine wiederholte seinen Sprechgesang auf Bengali, so lange, bis er verstand, dass er so nichts erreichen würde. »Master!«, sagte er dann mit einem grässlichen Akzent. »Herr! Du bist Glücksbringer!
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