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PR Kosmos-Chronik 01 - Reginald Bull

PR Kosmos-Chronik 01 - Reginald Bull

Titel: PR Kosmos-Chronik 01 - Reginald Bull
Autoren: Hubert Haensel
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unvermeidbar ansammelte. Freunde, Verwandte, geliebte Menschen altern und sterben zu sehen, während man selbst sich nicht veränderte, nicht einmal ein graues Haar bekam, das waren Erfahrungen, die sich in steter Folge wiederholten und jedes Mal tiefe Narben hinterließen.
    Hin und wieder hatte Reginald Bull geglaubt, den Punkt erreicht zu haben, an dem er es nicht mehr aushallen konnte, an dem ihm die eigene Haut endgültig zu eng geworden war wie ein Panzer, der ihm die Luft abschnürte und sich als schrecklichstes aller Gefängnisse erwies. Doch er hatte gelernt, daß es besser war, zu schweigen und den Frust in sich hineinzufressen, weil er überall nur auf Unverständnis gestoßen wäre: beim normalen Bürger mit seinen annähernd einhundertundfünfzig Jahren Lebenserwartung ohnehin, aber ebenso bei den anderen Zellaktivatorträgern, denen das Schicksal wie ihm zur Unsterblichkeit verholfen hatte. Reginald Bull war überzeugt davon, daß auch sie ihre typisch menschlichen Regungen unterdrückt hatten. Es konnte gar nicht anders sein.
    Was immer Menschen sich erträumten, besaß für sie nur so lange unschätzbaren Wert, wie es ein Traum blieb.
    Hatte ihm Schlimmeres geschehen können als die Realisierung seiner Träume? Bully stieß ein unwilliges Schnaufen aus. Die Achterbahn der Empfindungen drohte ihn mitzureißen. Er mußte gerade jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Vierzig Jahre hatte er ohne Gefühle gelebt und nur die Logik in den Vordergrund gestellt, doch plötzlich war alles wieder da: Liebe, Hass, Sehnsucht und Trauer.
    Warum habe ich diesen Irrsinn unterstützt? hämmerte es unter seiner Schädeldecke — ein pochender Schmerz, der sich tief in seine Seele einbrannte.
    Die Menschheit stand am Rand eines Abgrunds und war unfähig, das nahende Ende zu erkennen. Aphilie — ein Kunstwort, das frei definiert soviel wie »Lieblosigkeit« bedeutete, bezeichnete den Zustand und die Geistesverfassung. Die Erde ähnelte einem totalitären Ameisenstaat, in dem das Individuum nur zweckbedingt und nach rein logischen Grundsätzen handelte.
    »Warum?«, stieß Reginald Bull keuchend hervor. Einen Augenblick lang hielt er inne und lauschte in die Stille der Korridore und Gänge, Liftschächte und Rohrbahntunnels. »Sag mir, warum Menschen so reagieren!«
    Wie nahe waren die Verfolger? Sie würden ihn töten, sobald sie seiner habhaft wurden; sie mußten es tun, denn das verlangte die Logik. Selbst Maschinen handelten menschlicher als diejenigen, die sie erschaffen hatten.
    Wie ein Fels in der Brandung hatte sich Reginald Bull gefühlt, doch jäh erkannt, daß er nichts anderes gewesen war als ein glattgeschliffener Kiesel, den die Wogen des Schicksals mitgerissen hatten. Alles in ihm befand sich nun in Aufruhr; in den Schläfen pochte das Blut, Hitze durchtobte die Adern, und sein Magen rebellierte ohnehin, seit er das eigene Versagen erkannt hatte.
    Vergeblich stemmte er sich gegen den metallenen Koloss, der ihn unnachgiebig an die Schachtwand preßte — zu seinem Schutz zweifellos, aber damit wollte Bully sich nicht abfinden. Wut und Zorn mischten sich mit grenzenloser Enttäuschung, und was er absolut nicht vertragen konnte, war das Empfinden, in jeder Hinsicht auf den Roboter angewiesen zu sein. Die Springflut lange entbehrter Gefühle erstickte ihn schier.
    »Ich kann gut auf mich allein aufpassen.« Seine Stimme versagte vor Aufregung, und nur ein Stöhnen rang sich über seine Lippen, denn in dem Moment zündete die Bombe, die der Roboter in den abgeschalteten Antigravschacht geworfen hatte.
    Die Explosion war wie ein kleiner Weltuntergang und schien Bulls Trommelfelle zu zerreißen. Der grelle Lichtblitz fraß sich durch seine krampfhaft geschlossenen Lider hindurch und blendete ihn.
    Breslauer sagte etwas. Wahrscheinlich mit großer Lautstärke, doch für Reginald Bull blieben die Worte ein unverständliches fernes Murmeln. Dafür konnte er, mühsam blinzelnd die klebrige Nässe unter den Lidern vertreibend, im Antigravschacht dichte Rauchschwaden erkennen. Wie ein alles verschlingender Moloch quollen sie heran. Es stank erbärmlich nach schmorenden Kunststoffen und Ozon, eine Mischung, die Bullys Magennerven nicht zur Ruhe kommen ließ.
    Der Roboter raste mit ihm in die Tiefe. Die schnelle Abwärtsbewegung war Gift für Bulls ohnehin lädiertes Befinden. »Wir werden am Boden zerschmettern«, stieß er hustend hervor.
    Die Antwort fiel ähnlich unverständlich aus wie zuvor.
    »Ich bin taub!«, ächzte
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