Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PR 2661 – Anaree

PR 2661 – Anaree

Titel: PR 2661 – Anaree
Autoren: Uwe Anton
Vom Netzwerk:
ohne sich dabei etwas zu denken. Es war eben so, dass manche Männer und Frauen vom Tagvolk an einem Tag noch im Dorf waren und am nächsten nicht mehr.
    Anaree setzte sich an das Feuer, das Tara Marate entfacht hatte. Der erfahrene Jäger schaute auf, als sie sich zuerst ausstreckte und dann zusammenkauerte, die Hände um die Fußknöchel legte, um sich klein und unauffällig zu machen.
    Er warf ihr Blicke zu, die ihr sehr sonderbar vorkamen. Wollte er noch etwas zu ihr sagen? Falls ja, schien er nicht den Mut dafür zu finden.
    Todmüde kroch sie in die Hütte, die sie in dieser Nacht als ihre Schlafstätte ausgewählt hatte, streckte sich und schlief sofort ein. Trotz allem, was passiert war.
     
    *
     
    Als Anaree am nächsten Morgen erwachte, wurde ihr schlagartig klar, was nicht stimmte.
    Tara Marate passte nicht ins Schema.
    Wieso schien sich niemand vom Tagvolk daran zu stören, dass sie während eines Ausflugs zum Fluss älter geworden war? Dass sie nun eine Frau und kein Kind mehr war? Warum nahmen alle das wie selbstverständlich hin – außer Tara Marate? Der alte Jäger schien als Einziger die Veränderung bemerkt zu haben, die sie vollzogen hatte.
    Mehr noch: Er schien sie sogar vorausgeahnt zu haben. Wieso hätte er sonst versucht, sie zu warnen, bevor sie den Baum hinaufgeklettert war?
    Warum war er so anders?
    Die Antworten auf diese Fragen konnte ihr wahrscheinlich nur Tara selbst verraten.
    Sie beschloss, sich an ihn zu halten, seine Nähe zu suchen.
    Der alte Jäger schien genau zu wissen, was sie beabsichtigte, doch er tat ihr nicht den Gefallen, das Wort an sie zu richten.
    Vielleicht kann er es nicht?, fragte sich Anaree. Vielleicht ist er genauso unfähig, einen Ton über die Lippen zu bringen, wie ich es war, als ich vom Fluss ins Dorf zurückkehrte?
    Aber er hatte sie doch gewarnt. Unmittelbar bevor sie auf den Baum geklettert war. Er hatte geahnt, was geschehen würde, wenn nicht sogar gewusst.
    Wieso war er anders als die anderen?
    Sie stellte ihm die Frage einfach, als sie sich am nächsten Abend an sein Feuer setzte. Die anderen waren bereits in den Hütten verschwunden. Sie und Tara waren die Letzten, die an dem immer schwächer glimmenden Holz ausharrten.
    Fast, als wäre das so arrangiert worden. Als wolle irgendjemand – die Morgenschwester vielleicht? – ihnen Gelegenheit geben, sich ungestört zu unterhalten.
    Tara Marate nickte nachdenklich. »Eine gute Frage. Und wie bei den meisten guten Fragen gibt es nicht nur eine Antwort darauf, sondern mehrere. Willst du mich bei der Jagd begleiten? Ein letztes Mal? Denn retten werde ich dich wohl nicht können.«
    Anaree sah auf. Retten? Wie kam er darauf, dass er sie retten sollte?
    »Ich kann es versuchen, aber es wird sinnlos sein. Es war bislang jedes Mal sinnlos.«
    »Das Tagvolk braucht Fleisch. Also begleite mich.« Tara Marate räusperte sich, verstummte dann. Anaree hatte den Eindruck, dass es ihm unangenehm war, überhaupt mit ihr zu sprechen. »Aber es wird eine lange Jagd werden.«
    Anaree sah ihn fragend an. »Sonst sind die Jäger immer nur wenige Stunden unterwegs, während die Frauen Beeren und Früchte sammeln. Hat dich etwa das Glück verlassen?«
    Der alte Jäger seufzte, und sein Gesichtsausdruck verriet Anaree, dass sie wahrscheinlich gar nichts verstanden hatte.
    »Sonst bringst du immer reichlich Beute heim, und nun soll nichts vor deinen Bogen kommen?«, hakte sie nach.
    Marate lächelte schwach. »Vielleicht hast du das gesamte Glück des Tagvolks in dich aufgesogen, und für die anderen bleibt nichts mehr übrig. Begleitest du mich also, damit ich wie früher genug Fleisch heimbringen kann?«
    Anaree wurde endlich klar, dass es um mehr ging als nur um Fleisch. »Natürlich. Ich begleite dich.«
     
    *
     
    Tara Marates Worte bewahrheiteten sich auf unheimliche Art und Weise. Nichts geriet vor seinen Bogen. Die Fische schienen den Fluss, alle anderen Tiere das Ufer verlassen zu haben. Sie verstand es nicht.
    Hatte der alte Jäger wirklich recht? Hatte Anaree das Glück des Tagvolks für sich vereinnahmt, und alle anderen würden von nun an im Pech leben und darben müssen?
    Aber was meinte er damit? Anaree hatte den Eindruck, in letzter Zeit alles andere zu haben als Glück.
    Einen Tag lang versuchte der alte Jäger vergeblich, Beute zu machen. Schließlich gab er das sinnlose Unterfangen auf und entfachte ein Feuer, an dem sie übernachten würden.
    Sie hatten den gesamten Tag über kein einziges Wort
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher