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PR 2661 – Anaree

PR 2661 – Anaree

Titel: PR 2661 – Anaree
Autoren: Uwe Anton
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Kopf, Taras Stimme oder die eines anderen aus dem Tagvolk. Sie fürchtete die angedrohte Strafe, doch gleichzeitig konnte sie sich nicht vorstellen, dass es tatsächlich so kommen würde. Verbrennen? Wer verbrannte, nur weil er einen dummen Stein berührte? Nie war jemand vom Tagvolk einfach so verbrannt. Nie zuvor.
    Dann kam ihr ein Gedanke. Es ist auch eine Frage des Willens.
    Erschrocken zog sie den Kopf ein. Hatte wirklich sie das gedacht? Aber schon stellte sich ein weiterer Gedanke bei ihr ein, der ihr völlig fremd war, den sie nicht ganz verstand.
    Bestimmst du über dein Schicksal, oder bestimmen andere darüber? Du bist doch die Herrin über deinen Willen, oder etwa nicht?
    Wer spielte ihr hier einen Streich? Anaree sah sich um, erwartete, jemanden zu sehen, der zu ihr gesprochen hatte. Doch da war niemand.
    Es ist der Baum, dachte sie. Er lockt mich zu sich, aber dann will er mich verwirren, vertreiben. Wenn die anderen es nicht wagen, gegen das Tabu zu verstoßen, ich lasse mich nicht davon abschrecken!
    Aber ihr wurde klar – wenn sie das Juwel berühren wollte, musste sie es sofort tun. Sollte sie diese Stimme noch einmal hören, würde sie auf der Stelle umdrehen und schreiend davonlaufen.
    Flink wie ein Äffchen kletterte sie den Baumstamm hoch. Die harte Rinde schien unter ihren Fingern zu sprießen, vorwärtszuspringen, ihr stets den Halt zu bieten, den sie benötigte. Sie spürte schmerzhaft die scharfe Borke, glaubte, sie würde ihr in Handflächen und Fußsohlen schneiden. Sie hielt sich die linke Hand vors Gesicht: nichts, kein Riss, kein Schnitt, gar nichts.
    Bloß drei Handspannen, eine ... Sie brauchte nur zuzugreifen, und das funkelnde Juwel gehörte ihr!
    Sie zögerte erneut. Noch konnte sie zurück ...
    Nein!, dachte sie. Sie hatte alles gewagt, war so weit gekommen ... Nun würde sie sich das nicht mehr nehmen lassen!
    Sie berührte den Kristall mit den Fingerspitzen.
     
    *
     
    Der Schmerz war überwältigend.
    Aber sie spürte nicht nur diese Pein, so stark, wie sie noch nie etwas wahrgenommen hatte. Da war etwas anderes, und Anaree konnte nicht sagen, was ihr mehr zusetzte. Das Feuer, das ihr durch die Fingerspitzen in den Körper floss, die grauenvolle Hitze, die sie verbrannte, die ihre Haut aufplatzen und die Knochen schmelzen ließ? Oder das Wissen und die Erkenntnis, die ebenfalls durch die Fingerspitzen in ihren Körper strömten, ihre Nerven entlangflossen, immer tiefer in sie hinein, so gewaltig, so stark, dass Anaree sie weder erfassen noch verstehen konnte?
    Anaree wollte schreien, konnte es aber nicht. Sie riss den Mund weit auf, doch kein Ton drang über ihre Lippen.
    Sie glaubte zu sterben.
    Wenn es doch nur aufhörte!, dachte sie flehentlich.
    Aber es hörte nicht auf. Das Feuer und das Wissen strömten in sie hinein, wie das Wasser durch die Flussrinne rauschte, unablässig, unaufhörlich.
    Beides durchdrang sie. Sie brannte, und sie wusste.
    Obwohl Anaree darauf hoffte, ließ der Schmerz nicht nach. Und sie gewöhnte sich auch nicht an ihn. An beides nicht.
    Irgendwann, sie wagte längst nicht mehr, daran zu glauben, endete der Schmerz abrupt, und das Wissen versiegte irgendwo. Tröpfelte in irgendetwas wie das Flusswasser, dem Anaree mit dem Stock neue Wege bahnte, bis es schließlich unweigerlich im Sand versickerte.
    Anaree spürte ein heftiges Stechen in einem Bein. Aber es war nichts im Vergleich zu dem, was sie soeben durchgemacht hatte.
    Sie öffnete die Augen, sah sich um und stellte fest, dass sie auf die steinharte Wurzel des Baums gestürzt war. Sie musste heruntergefallen sein, ohne es bemerkt zu haben.
    Der Sternsaphir pendelte über ihr, obwohl kein Windhauch ging.
    Sie wusste, dass es ein Sternsaphir war.
    Sie hob eine Hand, hielt sie vors Gesicht. Die Haut war unverletzt, obwohl sie hätte schwören können, sich an der harten, scharfen Borke aufgerissen zu haben. Sie konnte jedoch nicht die kleinste Abschürfung entdecken.
    Aber die Hand kam ihr irgendwie ... anders vor.
    Größer und schlanker als zuvor. Anaree sah keine dicklichen Wurstfinger mehr, wie kleine Kinder sie hatten.
    Sie hörte ein Geräusch, nur den Hauch einer Bewegung, ein leises Knistern wie von Stoff, der sich ganz leicht an anderem Stoff rieb. Mühsam richtete sie sich auf, drehte den Kopf, sah sich um.
    Sie hatte sich nicht getäuscht. Sie war nicht länger allein.
    Vor ihr stand eine Frau. Verwirrt betrachtete sie deren Gesicht. Es kam ihr mehr als nur vertraut vor. Zuerst
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