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PR 2661 – Anaree

PR 2661 – Anaree

Titel: PR 2661 – Anaree
Autoren: Uwe Anton
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Jetzt ist nicht alles vorbei! Da muss noch mehr sein!
    »Aus dem Weg!«
    Tara Marates Stimme kam ihr wie die eines Fremden vor. Die Dominanz des Kaninchens war so überwältigend, dass ihr alles andere unwirklich erschien.
    Von nun an ist für dich nichts mehr vorgegeben, hallten Tara Marates Worte in ihrem Geist. Nichts ist mehr so, wie es zu sein scheint!
    Anaree drehte sich, entwand sich dem Griff des Kaninchens. Sie war in diesem Moment wie Wasser, das zwischen ihren Fingern hindurchrann, wenn sie es aus dem Fluss schöpfte, um es in neue Bahnen zu lenken.
    Sie hörte ein leises Sirren. Tara Marate hatte seinen Pfeil abgeschossen.
    Sie ahnte, was geschehen würde. Das Auftreten des Kaninchens hatte jeden Zweifel beseitigt. Das seltsame Wesen hatte von dem alten Jäger nichts zu befürchten, und beide wussten das.
    Anaree riss den Kopf hoch und sah, dass Marates Pfeil das Tier durchdrang, ohne Schaden anzurichten.
    Das Kaninchen schnaubte, und Anaree bekam es mit der Angst zu tun. Mit dem seltsamen Geschöpf fand eine Veränderung statt, die sie sich nicht erklären konnte. Das weiche, kuschelige Fell sträubte sich und wurde kurz und hart, und die Muskeln in seinem Körper schwollen überproportional an.
    Ein Berglöwe!, dachte Anaree. Eins der gefährlichsten Tiere im Gebiet des Tagvolks!
    Das Tier sprang Tara Marate an. Mitten in der Bewegung schien es größer zu werden. Es drückte mit reiner Muskelkraft die Arme des Jägers zur Seite, kam auf seinem Körper zu landen. Marate drehte den Kopf zur Seite, doch die hilflose Geste bescherte ihm nicht die Rettung.
    Das Geschöpf riss das Maul auf, entblößte nun fingerlange Fangzähne und ließ sie Millimeter über der Kehle des alten Jägers wieder zuschnappen.
    »Dieselbe Prozedur wie jedes Mal«, stieß das unheimliche Geschöpf hervor. »Sie wissen, dass ich Sie nicht töten werde, nicht wahr, mein Herr?«
    »Noch hast du nicht gewonnen«, flüsterte Marate.
    Der Berglöwe verwandelte sich abrupt wieder zurück, sah im nächsten Augenblick wieder aus wie ein weißes Kaninchen in einem eleganten Sakko. Es richtete sich auf und zog sein einziges Bekleidungsstück glatt. »Sie tun mir so leid, dass ich Sie eines Tages vielleicht doch töten werde. Nur damit es vorbei ist. Damit es sich nicht immer wieder wiederholt.«
    »Ich sehne diesen Tag herbei«, sagte der alte Jäger.
    Das Kaninchen stieß ein bellendes Gelächter aus, das ganz und gar nicht zu einem kuscheligen Nagetier passte, drehte sich um, hoppelte drei, vier Sprünge und verschwand in der Dämmerung. Nach wenigen Sekunden hatte Anaree es aus den Augen verloren.
    Was hatte diese Begegnung zu bedeuten?
    Fragend sah sie Tara Marate an, doch der alte Jäger wandte den Blick ab, drehte sich um und kniete am Feuer nieder. Er sprach kein Wort mehr, rollte ein Fell aus, legte sich darauf und war, so unglaublich es Anaree vorkam, kurz darauf eingeschlafen.
    Anaree fand im Gegensatz zu Tara in dieser Nacht keine einzige Minute Schlaf.
    Am nächsten Tag machte Tara Marate reiche Beute, und sie kehrten zum Dorf zurück.

3.
    Das Gespinst
     
    Die Tage verstrichen ereignislos, und niemand vom Tagvolk sprach Anaree darauf an, dass etwas Außergewöhnliches geschehen war. Niemand erwähnte, dass sie älter geworden war, niemand erkundigte sich nach dem Baum. Irgendwann keimte ein Fünkchen Hoffnung in Anaree: Vielleicht hatte sie sich das alles eingebildet, vielleicht war es nur ein böser Traum gewesen oder eine Prüfung – die sie bestanden hatte oder nicht.
    Dann kam die Morgenschwester ins Dorf des Tagvolks. Anaree nahm sie zum ersten Mal bewusst wahr. Wenn sie schon einmal bei ihrem Volk gewesen war, hatte Anaree nichts davon bemerkt, so, wie die anderen Dorfbewohner nun nichts von ihrer Anwesenheit mitbekamen. Sie sahen sie einfach nicht.
    Die schöne Frau in dem Wickeltuch erschien unvermittelt neben einer der Hütten und schlenderte dann zur Feuerstelle in der Mitte des Dorfs. Sie sah sich nicht um, zeigte keine Spur von Neugier – ein weiteres Indiz dafür, dass sie sich gut auskannte und schon oft im Dorf gewesen war. Die meisten vom Tagvolk hatten es wohl einfach nicht bemerkt, sondern nur die, denen ihr Besuch galt.
    Obwohl die Morgenschwester sehr gemessen ausschritt, schienen sich ihre schwarzen, schulterlangen Haare bei jeder Drehung des Kopfs wie in Zeitlupe zu bewegen, als gälten für sie andere Gravitationsgesetze.
    Gravitationsgesetze? Anaree stellte zu ihrer Verblüffung fest, dass sie diesen
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