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PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse
Autoren: Wim Vandemaan
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Zweifel, ob er es mit einem Roboter zu tun hatte oder mit einem Lebewesen, das in einer technoiden Rüstung aus dunkelgrünem Metall steckte. Die Gestalt bei der Brücke war selbst für einen Junker groß und wuchtig, knapp unter zweieinhalb Metern, schätzte Routh. Der Vollvisierhelm schimmerte in einem unsteten, phosphoreszierenden Grün.
    Die Zofe dagegen wirkte auffällig klein, knapp 1,40 Meter. Ihr Leib war so kugelrund, dass die Ärmchen, obwohl angelegt, schräg abstanden. Ihr starres Gesicht war auf den Fluss gerichtet. Das Netz, das sich über das gezackte Loch in ihrer Stirnmitte spannte, vibrierte nicht. Sie schwieg.
    Die beiden hatten einen bauchigen Topf zwischen sich gestellt. Die Zofe rührte mit einer langstieligen Kelle in der Brühe und löffelte etwas von der rotgoldenen Flüssigkeit in den Topf. Sie brauchte beide Hände, um die Kelle zu heben. Routh fiel wieder auf, dass die Zofe nur zwei Finger und einen Daumen an jeder Hand hatte.
    Der Junker stand reglos daneben. Seine Arme lagen ihm wie angeschmiedet am wuchtigen Leib. Hin und wieder verschob er sich im Raum, glitt, ohne die Beine zu bewegen, nach vorn oder zurück oder wechselte von der linken Seite der Zofe zu ihrer rechten.
    Die Zofe arbeitete mit großer Konzentration. Routh beobachtete die beiden bei ihrer zugleich offenkundigen und rätselhaften Tätigkeit.
    Plötzlich blickte die Zofe hoch zu ihm. Routh bog den Oberkörper unwillkürlich ein wenig zurück, ging aber nicht weiter. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, irgendeinen Grund zur Flucht zu haben.
    Stumm artikulierte er: Was heißt Was tut ihr dort? in der Sprache der Auguren?
    Puc erinnerte ihn, und Routh rief die Worte den beiden Gestalten zu.
    »Schöpfen«, antwortete die Zofe in Saypadhi. »Was tust du?«
    »Ich stehe auf der Brücke und schaue zu, wie ihr schöpft.«
    Die Zofe und der Junker schwiegen und setzten ihre Tätigkeit fort.
    »Braucht ihr Hilfe?«, bot Routh an.
    »Nein«, sagte die Zofe. »Dies ist insgesamt ein ergebnisverschlossener Dialog. Wir zögen es vor, du störtest uns nicht weiter.«
    Routh hätte weitergehen können. Aber die schiere Rachsucht, der Reiz, diese beiden Repräsentanten des Weltenkranzsystems zu belästigen, sie vielleicht sogar unter Druck zu setzen, wurde übermächtig. »Ich bin hier mit Billigung der Auguren«, sagte Routh scharf. »Mit welchem Recht lehnt ihr mein Angebot ab?«
    »Mit dem Recht, uns selbst zu mindern.«
    »Was für ein Recht soll das sein?«
    Die Zofe schwieg und schöpfte wieder.
    Routh spürte zu seiner Verwunderung, dass diesem Schweigen gegenüber sein Hass schwand und einer Neugier wich. »Warum wollt ihr schwinden? «, fragte er.
    »Den Überfluss auszugleichen, der wir sind.«
    »Ich verstehe nicht«, gestand Routh.
    Die Zofe begann zu singen: »Sind wir viel, dann sind wir wenig, denn wir sind uns selbst nicht ähnlich, nicht genug.«
    Orakelsprüche ohne Zweck, dachte Routh und machte kehrt. Er passierte den Kanal einige hundert Meter weiter Richtung Sonnenuntergang.
    Routh stellte sich vor, er hätte diesen Planeten zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort entdeckt. Damals, als das Solsystem sich noch in der Milchstraße befand. Damals, als Anicee noch nicht den Phenuben gelauscht hatte und von ihnen verführt worden war. Damals, als alles in Maßen gut war.
    Vor einigen Wochen noch.
    Er hätte bei seinem Sender SIN-TC, dem Solaren Informations-Netzwerk Terrania City, angefragt, bei seiner Redakteurin und Teilzeitgeliebten Phaemonoe Eghoo, ob ein Bericht über diese sonderbare Welt interessieren würde.
    Ja, hätte sie gesagt. Und er hätte ihr eine seiner gründlich recherchierten Reportagen geliefert, eine unterhaltsam aufgemachte, vergnügliche und dabei sehr nachdenklich stimmende Arbeit über eine neu entdeckte Insel voller Wunder im Sternenmeer.
    Stattdessen jagte er, bewaffnet und möglicherweise verfolgt, seiner Tochter nach, mit schwindender Hoffnung, sie noch einmal aus ihrer Versunkenheit in die Welt der Auguren retten zu können.
    Weil Eltern ja immer ihre Kinder retten wollen, bemerkte Puc und schaute ernst in sein Glas.
    »Willst du sagen: Anicees Entführung erfüllt mir einen uneingestandenen, geheimen Wunsch?«, artikulierte Routh.
    Will ich?, fragte Puc zurück. Hätte ich denn einen Willen, der sich von deinem Willen unterscheiden ließe, großer Bruder?
     
    *
     
    Das Haus Bece Ascut erinnerte Routh an ein Modell der DNS: eine ins Gigantische vergrößerte Doppelspirale, deren
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