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PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse
Autoren: Wim Vandemaan
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beide sich in die Höhe windende Stränge in regelmäßigen Abständen von geraden Brücken verbunden waren.
    Diese Struktur war Routh aus etlichen Biologieprojekt-Phasen so vertraut und hing für ihn so eng mit dem Menschlichen zusammen, dass er den Daakmoy für einen Moment als Parodie empfand. Ganz so, als wollten die Auguren den Kern des Menschen bloßstellen.
    Was natürlich Unsinn ist, bemerkte Puc. Die Erbsubstanz der Sayporaner wird in ganz ähnlicher Weise gegliedert sein. Das universale Wasserzeichen der Biophore.
    »Vielleicht«, flüsterte Routh.
    Routh ließ die Höhe des Hauses Bece Ascut von Puc abschätzen. 11.800 Meter – in Anboleis hatte er bisher kein größeres Gebäude gesehen. Das Fundament des Daakmoy durchmaß knapp über 600 Meter; die Proportion ließ den Koloss schmal, beinahe zerbrechlich wirken.
    In dieser Turmstadt nach einer einzelnen Person zu suchen wäre ein aussichtsloses Unterfangen gewesen – hätte es undurchsichtige Wände gegeben.
    Routh hoffte, Anicee im Verlauf einer oder mehrerer Fahrten mit dem Aufzugsystem zu entdecken.
    Allerdings stand vor jedem Portal ins Gebäudeinnere ein Junker Wache.
    Routh hatte in Anboleis bislang keinen Widerstand erfahren. Aber nun warnte ihn etwas, nicht ohne Weiteres auf die Junker zuzugehen. »Oder?«, fragte er Puc.
    Ich bin mir nicht sicher, gab das Implantmemo zu. Unklug ist das Wild, das die Jagd anbläst.
    »Verstehe«, sagte Routh. »Danke für den Tipp!«
    Routh schaute sich um. Er entdeckte vielleicht zweihundert Meter entfernt einen Stapel Metallfolien. Routh schlenderte dorthin und zog, den Stapel zwischen sich und dem Gebäude, fünf Folien herunter. Er hob die erste Folie an und knickte sie so ein, dass sie aufrecht stehen konnte. Kurze Zeit später hatte er eine einfache Hütte um sich errichtet, ein Kartenhaus, die fünfte Folie als Dach.
    Natürlich konnte er nicht sicher sein, ob die Junker-Wache nicht über technische Mittel verfügte, den Sichtschutz zu durchschauen. Aber schon das Gefühl, möglicherweise unbeobachtet zu sein, tat ihm gut. Er zog den Schal von der Schulter, entfaltete ihn zum Schemenkleid und warf sich den Symbionten der Spiegelin über.
    Das Kleid knisterte leise, als es sich seinen Körperkonturen anschmiegte. Als sich der Stoff über sein Gesicht legte und immer weiter zusammenzog, überfiel ihn ein Moment der Panik. Dann wurde ihm bewusst, dass er ohne Einschränkung durch den Stoff einatmen konnte. Das Ausatmen blähte das Material nicht einen Hauch. Routh hatte das Gefühl, das Schemenkleid nehme seinen Atem auf. Vielleicht war dieses Kleid sogar in der Lage, Luft aufzubereiten.
    Plötzlich war Routh, als würde er jedes Selbstbild von sich verlieren. Die Gebäude von Anboleis wirkten wie Miniaturen, ragten zugleich hoch in den Leerraum der Anomalie. Alles verzerrte, alles verschob sich.
    Ruhig, großer Bruder, meldete sich Puc. Ich verstehe das als Anfrage: Der Symbiont fragt dich, welche Gestalt du annehmen möchtest. Willst du den Junkern als Sayporaner erscheinen?
    Rouths Widerwille gegen diese Vorstellung war zu groß. »Am liebsten wäre ich nichts«, sagte er.
    Verwundert spürte er, wie das Schemenkleid diesem Wunsch entsprach: An seinen Händen, an den Armen und, als er nach unten schaute, an seinem Leib wie an seinen Beinen beobachtete er, wie sein Leib durchsichtig und endlich unsichtbar wurde.
    Puc hob sein Glas. Gratulation. Endlich die richtige Garderobe für eine Stadt ohne Geheimnisse.
    Kurz darauf schob er sich an einem der Junker vorbei ins Innere des Gebäudes. Das Irrlichtern in dessen Vollvisier schien sich für einen Moment zu verstärken. Der wuchtige Türsteher selbst aber rührte sich nicht.

Auf welcher Seite stehst du?
     
    Er fand Anicee nach nicht einmal zwei Stunden Suche im mittleren Abschnitt des Daakmoy, auf der 1001. Etage.
    Anicee stand an der Glasfront und schaute über die Stadt. Routh zog das Schemenkleid aus und legte es sich wieder als Schal um den Hals. Dann ging er langsam auf Anicee zu.
    »Hier lebst du«, sagte Routh so leise wie möglich. Langsam und nicht im Mindesten überrascht drehte sie sich ihm zu. »Hallo, Sham«, sagte sie.
    Die Etage war weitläufig wie in den meisten Daakmoy; er konnte weder Zwischenwände noch tragende Säulen entdecken. Wenn dies Anicees Bleibe war, standen ihr mindestens 500 Quadratmeter zur Verfügung. Wahrscheinlich mehr.
    Nur vereinzelt sah er Möbel im Raum, schlichte Sessel, Schlaf-Eier, Tische, die Spender sein
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