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PR 2630 – Im Zeichen der Aggression

PR 2630 – Im Zeichen der Aggression

Titel: PR 2630 – Im Zeichen der Aggression
Autoren: Marc A. Herren
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Kakofonie der Panik.
    Alia selbst hätte nichts lieber getan, als sich umzudrehen und davonzulaufen.
    Sie fühlte sich von Karun unsanft an den Schultern gepackt. »Warte hier!«, rief er ihr zu. Er drückte zwei Dosanthi zur Seite und drängte sich in das Durcheinander aus sich verzweifelt windenden und um sich schlagenden Kindern.
    Schritt für Schritt kämpfte sich ihr früherer Partner auf Tokun zu. Aufrecht und drohend stand dieser da, schien von den erbärmlich schreienden Dosanthi in seiner Wut nur noch mehr angestachelt zu werden.
    »Sohn!«, rief Karun. »Halt ein!«
    Tokun fuhr herum. »Alles ist nur ein Schauspiel! Wann seht ihr endlich ein, dass ich anders bin? Schau mich an!« Er holte mit dem Re'blicht aus. »Schau mich einfach an!«
    Die verzierte Wurzelknolle traf eine junge Dosanthi mitten im Gesicht. Stumm fiel sie zur Seite. Karun griff an ihr vorbei, bekam eine der Schnüre zu fassen und zog das Re'blicht samt Rute und Tokun zu sich.
    Alia schlug beide Hände vor den Mund, als sie sah, wie Tokun auf seinen Vater zustürzte. Die braune Kutte glitt von seinem durch das Agalaria dünnen und sehnigen Körper.
    Karun fing den torkelnden Sohn auf. Tokun wehrte sich nicht, sank mit einem lauten Schluchzen in dessen Arme.
    Das Ogokoamo ebbte ab, die Calanda-Ausdünstungen verschwanden. Auf Alia wirkte das Versiegen der Panikwellen wie eine warme Umarmung. Unendlich erleichtert rutschte sie an der Kavernenwand zu Boden.
    »Papa«, presste Tokun heraus, »warum hast du mich verlassen?«
    Karun flüsterte etwas, das Alia nicht verstand. Dafür fiel ihr etwas anderes auf.
    Sofort griff die Unruhe erneut nach ihr. Weshalb klang das Agalaria nicht ab? Weshalb blieb ihr Sohn im erregten, ausgestreckten, furchtbar mageren Zustand?
    »Ein Agal-Atimpal!«, flüsterte eine Stimme neben ihr. »Tokun Gavang ist einer der verdammten Dauererregten!«
    Als stecke sie bis über beide Ohren im Granulat, drehte Alia ihren Kopf mit stumpfer Langsamkeit zu der Dosanthi um. »Was hast du da gesagt?«

3.
    Gelassenheit durch Konzentration
     
    »Der erste und wichtigste Schritt, den du gehen musst, mein Junge, ist derjenige in die Selbstachtung.«
    »Ich bin nicht dein Junge!«
    Die anderen Dosanthi in der Gemeinschaftskaverne blickten ängstlich zu ihnen herüber.
    Tokun Gavang kannte die Blicke zur Genüge. Seit dem Vorfall während der Prozession des Lichtes hatte sich alles verändert. Hatte er seine Andersartigkeit früher einzig durch aggressives Verhalten entlarvt, bemerkte man sie inzwischen von Weitem.
    Dosanthi im Zustand des Agalaria überragten ihre Artgenossen im Ogokaria um fast das Doppelte. Die krummen Beine standen gerade, der Rücken war ausgestreckt, sodass der Buckel verschwand. Aus einem tropfenförmigen Wesen auf O-Beinen wurde ein langer, hagerer, von Aggression getriebener Erregter.
    Tokun galt als Agal-Atimpal, eine leicht verständliche Wortschöpfung, denn »Agal« bedeutete im traditionellen Idiom der Dosanthi »Erregung«.
    Neben den Dauererregten gab es vereinzelt auch das Gegenteil, die »Dauerängstlichen«, die »Ogok-Atimpal«, weil »Ogok« mit »Angst« übersetzt wurde. Sie hatten vom Leben die kleinste Höhle zugeteilt bekommen.
    Tokun hasste es, mit der Behinderung eines Agal-Atimpal gestraft zu sein. Wäre er aber als Dauerängstlicher auf die Welt gekommen, hätte er sich wahrscheinlich von einer der höchsten Zacken ihres Raumers gestürzt.
    Die Ogok-Atimpal befanden sich in einem permanenten Zustand der Angst und Schwäche. Ihnen war es nicht möglich, sich an den halb organischen Wänden mit Calanda aufzuladen. »Calan« bedeutete »Aggression«, sodass Calanda nichts anderes hieß als »aggressive Aufladung«.
    Die Ursache für die Behinderung der Dauerängstlichen lag in einer Unterversorgung der Dosan-Drüsen, die als kleine Zylinder aus ihren Oberkiefern ragten. In ihnen lagerten sich normalerweise Heimatkristalle an, durch die der symbiotische Austausch mit den Dosedo-Pflanzen an den Wänden funktionierte. Bei den Ogok-Atimpal fand eine solche Anlagerung nicht statt.
    Sowohl Dauererregte wie Dauerängstliche wurden von den normalen Dosanthi mit Argwohn betrachtet und wo es ging gemieden. Während aber die Agal-Atimpal durch ihre Größe und Aggression furchtsamen Respekt ernteten, stießen die Ogok-Atimpal auf nichts als Verachtung und Ablehnung. Meist wurden sie aus dem Volksverbund der Dosanthi ausgeschlossen. Da sie die Einsamkeit kaum ertrugen, war dies meist gleichbedeutend
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