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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia
Autoren: Isabel Allende
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richtete er es ein, ab und an zurückzuschreiben. Paulina del
Valle sahen sie nicht wieder, weil sie nicht mehr in den
Teesalon kam und nie ihre Drohung wahr machte, ihnen das
Kind wegzunehmen und ihnen die Existenz zu ruinieren.
So vergingen fünf friedliche Jahre im Haus der Chi’ens, bis
die Ereignisse hereinbrachen, die die Familie zerstören sollten.
Alles begann mit dem Besuch von zwei Frauen, die sich als
presbyterianische Missionarinnen anmeldeten und baten, allein
mit Tao Chi’en sprechen zu dürfen. Der zhong yi empfing sie in
seinem Sprechzimmer, weil er dachte, sie kämen aus
gesundheitlichen Gründen, er wußte keine andere Erklärung,
weshalb zwei weiße Frauen sonst plötzlich in seinem Haus
auftauchen sollten. Sie sahen aus wie Zwillingsschwestern,
waren jung, hochgewachsen, rosig, die Augen waren klar wie
das Wasser der Bucht, und beide hatten die gleiche Haltung
strahlender Sicherheit, wie sie religiösen Eifer zu begleiten
pflegt. Sie stellten sich mit ihren Vornamen vor, Donaldina und
Martha, und machten sich daran, zu erklären, daß die
presbyterianische Mission in Chinatown bis jetzt äußerst
vorsichtig und zurückhaltend gewesen sei, um die buddhistische
Gemeinde nicht zu kränken, aber nun zähle sie neue Mitglieder,
die entschlossen seien, wenigstens die geringsten Normen
christlichen Anstands in diesem Sektor zu verbreiten, der, wie
sie sagten, »nicht chinesisches, sondern amerikanisches
Territorium ist, und es darf nicht gestattet sein, daß hier Gesetz
und Moral vergewaltigt werden«. Sie hätten von den Sing Song
Girls gehört, aber um den Handel mit versklavten Mädchen zu
sexuellen Zwecken herrschte eine Verschwörung des
Schweigens. Die Missionarinnen wußten, daß die
amerikanischen Behörden Bestechungsgelder annahmen und
beide Augen zudrückten. Nun habe ihnen jemand Tao Chi’ens
Namen genannt, er sei der einzige, der genügend Mumm habe,
ihnen die Wahrheit zu sagen und ihnen zu helfen, deshalb seien
sie hier. Tao hatte seit langer Zeit auf diesen Augenblick
gewartet. In seinem mühevollen Unternehmen, diese elenden
jungen Mädchen zu retten, hatte er nur auf die schweigende
Hilfe einiger Quäker-Freunde zählen können, die es auf sich
genommen hatten, die zur Prostitution Gezwungenen aus
Kalifornien herauszubringen und ihnen zu helfen, weit fort von
den Tongs und den Kupplern ein neues Leben zu beginnen.
Seine Aufgabe war es, diejenigen zu kaufen, die er auf den
heimlichen Versteigerungen bezahlen konnte, und die in
Empfang zu nehmen, die zu krank waren, um in den Bordellen
zu arbeiten; er versuchte, ihre Körper zu heilen und ihre Seelen
zu trösten, aber das gelang ihm nicht immer, viele starben ihm
unter den Händen. In seinem Haus gab es zwei Räume, um die
Sing Song Girls unterzubringen, die fast immer belegt waren,
aber Tao ahnte, daß das Problem der Zwangsprostitution, so wie
die chinesische Bevölkerung in Kalifornien zunahm, immer
schlimmer werden würde, und er allein konnte sehr wenig tun,
um es zu vermindern. Diese beiden Missionarinnen hatte ihm
der Himmel geschickt; vor allem konnten sie mit der
Rückendeckung durch die mächtige presbyterianische Kirche
rechnen, zudem waren sie Weiße; sie konnten die Presse, die
öffentliche Meinung und die amerikanischen Behörden in
Bewegung bringen, damit endlich Schluß war mit diesem
grausamen Geschäft. Also erzählte er den beiden
Missionarinnen in allen Einzelheiten, wie diese armen
Geschöpfe in China gekauft oder geraubt wurden, wie die
chinesische Kultur die Mädchen geringschätzte, daß man in
diesem Land häufig neugeborene Mädchen in Pfützen ertränkt
oder auf die Straße geworfen und von Ratten oder Hunden
angefressen fände. Die Familien liebten sie nicht, und deshalb
war es so leicht, sie für ein paar Münzen zu kaufen und nach
Amerika zu schaffen, wo man sie für Tausende Dollars
ausbeuten konnte. Sie wurden wie Tiere in großen Kisten im
Kielraum der Schiffe transportiert, und diejenigen, die den
Flüssigkeitsentzug und die Cholera überlebten, betraten die
Vereinigten Staaten mit gefälschten Heiratsverträgen. In den
Augen der Einwanderungsbehörden waren alle Bräute, und ihre
große Jugend, ihr jammervoller körperlicher Zustand und der
Ausdruck des Entsetzens auf ihren Gesichtern erregten
offensichtlich keinen Verdacht. Diese kleinen Mädchen zählten
nicht. Was mit ihnen geschehen würde, war »Sache der
Gelben«, das ging die Weißen nichts an. Tao
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