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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia
Autoren: Isabel Allende
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stockte, und eine Menschenmenge
sammelte sich und folgte dem in diesem Viertel
ungewöhnlichen Aufzug der fan gui. Die gingen energischen
Schrittes auf ein ärmliches Haus zu, hinter dessen schmaler,
vergitterter Tür sich die mit Reispuder und Karminrot
geschminkten Gesichter zweier Sing Song Girls zeigten, die
maunzend und mit entblößten Brüstchen ihre Dienste anboten.
Als die Mädchen die Weißen heranmarschieren sahen,
verschwanden sie quietschend vor Schreck im Innern, und an
ihrer Stelle erschien eine wütende Alte, die die Aufforderung
der Polizisten, die Tür zu öffnen, mit einer Flut von
Verwünschungen in ihrer Sprache beantwortete. Auf einen
Wink Donaldinas blitzte plötzlich ein Beil in der Hand eines der
Iren, und sie gingen daran, die Tür aufzubrechen, zum maßlosen
Entsetzen der Menge. Die Weißen drängten sich durch die
schmale Türöffnung, man hörte Gekreisch, Gerenne, englisch
gebrüllte Befehle, und nach einer knappen Viertelstunde kamen
die Angreifer wieder heraus und trieben ein halbes Dutzend
völlig verschreckter Mädchen vor sich her, dazu die wild mit
den Füßen strampelnde und von einem Polizisten weitergezerrte
Alte sowie drei recht niedergeschlagen blickende Männer, die
mit Pistolen in Schach gehalten wurden. Auf der Straße erhob
sich wüster Tumult, und ein paar Vorwitzige wollten mit
Drohgebärden drauflosstürzen, stockten aber jäh beim Knall
mehrerer in die Luft abgefeuerter Schüsse. Die fan gui verluden
die Mädchen und die übrigen Festgenommenen in einen
geschlossenen Polizeiwagen, und die Pferde zogen die Last fort.
Den Rest des Tages verbrachten die Bewohner von Chinatown
damit, das Vorgefallene gründlich zu bereden. Nie zuvor hatte
die Polizei im Viertel aus Gründen eingegriffen, die nicht
unmittelbar mit den Weißen zu tun hatten. Die amerikanischen
Behörden verhielten sich sehr nachsichtig gegenüber den
»Bräuchen der Gelben«, wie sie das nannten; niemand machte
sich die Mühe, gegen die Opiumhöhlen und die Spielhöllen
vorzugehen, und um die versklavten Mädchen kümmerten sie
sich schon gar nicht, das war eben eine der grotesken
Perversionen der Schlitzaugen, so wie das Essen von gekochten
Hunden mit Sojasauce. Der einzige, der keine Überraschung,
sondern Befriedigung zeigte, war Tao Chi’en. Der berühmte zhong yi wäre in dem Restaurant, in dem er immer mit seiner
Enkelin zu Mittag aß, fast von Schlägern einer der Tongs
angefallen worden, als er, laut genug, um auch in dem Lärm im
Lokal gehört zu werden, seine Genugtuung ausdrückte, daß die
städtischen Behörden in der Angelegenheit mit den Sing Song
Girls endlich eingeschritten wären. Wenn auch die Mehrheit der
an den übrigen Tischen sitzenden Gäste fand, daß in einer fast
völlig männlichen Bevölkerung die Sklavenmädchen schlicht
unentbehrlich seien, eilten doch einige herbei, um Tao Chi’en zu
verteidigen, der schließlich die am meisten respektierte Person
in der Gemeinde war. Hätte nicht der Wirt des Restaurants
rechtzeitig eingegriffen, wäre es zu einer gewaltigen Keilerei
gekommen. Tao Chi’en zog sich entrüstet zurück, seine Enkelin
an der einen Hand und in der andern, in ein Stück Papier
gewickelt, sein Essen.
    Vielleicht hätte die Episode mit dem Bordell keine
schlimmeren Folgen gehabt, wenn sie sich nicht zwei Tage
später in ähnlicher Form in einer anderen Straße wiederholt
hätte: dieselben Missionarinnen, derselbe Journalist Jacob
Freemont und dieselben drei irischen Polizisten, aber diesmal
hatten sie noch vier Beamte Verstärkung mitgebracht sowie
zwei große, scharfe Hunde, die an ihren Leinen zerrten. Der
Einsatz dauerte nur acht Minuten, und Donaldina und Martha
holten siebzehn Mädchen heraus, hinzu kamen zwei
Kupplerinnen, zwei Killer und mehrere Kunden, die noch dabei
waren, sich die Hosen zuzuknöpfen. Das Geschrei über das, was
die presbyterianische Mission und die Regierung der fan gui vorhatten, verbreitete sich jetzt in Windeseile in ganz Chinatown
und erreichte auch die schmutzigen Zellen, in denen die
Sklavinnen vegetierten. Zum erstenmal in ihrem armseligen
Leben gab es einen Funken Hoffnung. Nutzlos die Drohungen,
sie zu verprügeln, wenn sie rebellisch würden, oder die
gräßlichen Geschichten, die die alten Wärterinnen ihnen
erzählten wie etwa, daß die weißen Teufel sie nur herausholten,
um ihnen das Blut auszusaugen - von diesem Augenblick an
suchten sie eine Möglichkeit, von den
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