Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Porträt eines Starters: Die Kurzgeschichte zum Roman »Starters« (German Edition)

Porträt eines Starters: Die Kurzgeschichte zum Roman »Starters« (German Edition)

Titel: Porträt eines Starters: Die Kurzgeschichte zum Roman »Starters« (German Edition)
Autoren: Lissa Price
Vom Netzwerk:
schläfst«, sage ich. »Erinnert mich an bessere Zeiten.«
    »Tut mir leid, dass ich deinen Platz belegt habe.« Sie beginnt sich hochzustemmen. »Aber Tyler war so laut.«
    »Jederzeit willkommen.« Ich erhebe mich gleichzeitig mit ihr und nehme den Block auf, bevor sie ihr Porträt sehen kann. Hinter dem Rücken klappe ich mit einer Hand das Deckblatt zu.
    Sie reckt den Hals. »Zeichnest du?«
    »Nur so Gekritzel.«
    »Wie geht es Tyler?«
    Ich blicke hinüber in ihren Wohnbereich, obwohl ich ihn hinter den Schreibtischen nicht sehen kann. »Er klang ein wenig verschnupft.«
    Sie läuft hinüber, um nach ihm zu sehen. Ich öffne eine Schublade in einem der umgedrehten Schreibtische, die meine Festung begrenzen, und schiebe den Block hinein. Dann betrachte ich meine an die Wand geheftete Skizzen-Kollektion. Starters, in mehrere Schichten zerlumpter Klamotten gehüllt, Wasserflaschen um die mageren Hüften und Leuchten um die dürren Handgelenke geschnallt. Waisenhäuser. Die Gittertore und hohen, dicken Außenmauern der berüchtigte Nummer 37. Enders mit ihrem Silberhaar, die uns angeifern und drohend ihre Stöcke schwingen – bis auf wenige Ausnahme, die das Alter zu runzligen Monstern entstellt hat, von Schönheitschirurgen mit makellosen Gesichtern ausgestattet. Ender-Marshals, die einen Starter mit einem Elektroschocker außer Gefecht setzen.
    Das ist unsere kranke Welt.
    Callie kommt zurück und reißt mich aus meinen Albtraum-Gedanken.
    »Er schläft jetzt ruhig.« Sie zerrt geistesabwesend an einer Locke herum. »Hör mal, könntest du ihn morgen hüten?«
    »Was hast du vor?«, frage ich.
    »Ich muss was erledigen. Eine private Sache.«
    Ich nicke. Sie hat es mit Tyler besonders schwer. Ein siebenjähriger, chronisch kranker Bruder macht die ohnehin aussichtslose Lage nicht gerade besser.
    »Mädchensache?«
    Sie zuckt mit den Schultern.
    Genug gestochert. Sie will mir offensichtlich nicht sagen, wohin sie geht. »Klar. Mach ich gern.«
    * * *
    Später am Abend, als ich mich ins Freie stehle, um die Wasserflaschen zu füllen, mache ich einen Abstecher in die zweite Etage. Ich suche Florina auf, eine von uns Hausbesetzern, und frage sie, ob sie morgen Tyler hüten könnte.
    »Wo willst du denn hin?« Sie hält den Kopf schräg, und das dunkle Lockenhaar fällt ihr in die Augen.
    »Nach draußen.«
    »Mit Callie?«
    »Sie hat was anderes zu erledigen«, sage ich.
    Florinas Mundwinkel deuten ein Lächeln an. »Okay, Michael. Aber dann habe ich was gut bei dir.«
    Sie hebt eine Hand, und ich klatsche sie ab. »Florina, du bist ein Schatz.«
    »Woher willst du das wissen?«
    Das klingt wie ein Flirt und macht mich nervös.
    * * *
    Am nächsten Morgen verlässt Callie unseren Büroblock. Ich werfe mir den Rucksack über eine Schulter und trete an das Fenster, das auf unserer Etage ganz am Ende des Korridors liegt. Dann spähe ich nach unten. Callie bleibt stehen und hält erst mal nach Renegaten Ausschau. Braves Mädchen. Sehr umsichtig.
    Jetzt rennt sie über die Straße.
    Ich stürze zur Treppe, nehme zwei Stufen auf einmal und durchquere hastig die leere Eingangshalle. Das Haupttor ist so mit Klebestreifen gesichert, dass wir uns nicht aussperren können.
    Ich fühle mich nicht wohl, weil ich Callie versprochen habe, Tyler zu hüten. Aber wenn wir ab und zu gemeinsam weggehen, findet sie auch nichts dabei, ihn bei Freunden im Haus zu lassen. Der einzige Unterschied ist, dass sie Florina noch nicht kennt.
    Callie hat inzwischen die nächste Querstraße erreicht. Ich werfe einen prüfenden Blick in alle Richtungen. Niemand zu sehen. Natürlich bedeutet das nicht allzu viel. Die Typen lauern oft in irgendeinem Versteck. Ich schiebe den Rucksack auf die andere Schulter. Er enthält meine Wasserflasche, meine Handleuchte und paar Dinge, die sich notfalls als Waffen verwenden lassen. Ich weiß, dass Callie für sich selbst sorgen kann. Sie ist kräftig und gewitzt. Aber zu zweit richtet man immer mehr aus als allein.
    In dieser Gegend sind kaum Fußgänger unterwegs. Es ergibt auch wenig Sinn, durch ein verlassenes Gewerbegebiet zu spazieren.
    Ich behalte Callie im Auge und folge ihr vorsichtig, immer bereit, mich in einem Eingang zu verstecken, falls sie sich umdrehen sollte. Aber sie tut es nicht.
    * * *
    Ich folge ihr eine Stunde lang in Richtung Norden. Wir kommen durch Gegenden mit vernagelten Fenstern. Wenn Callie hier und da ein Gebäude passiert, das mit einem roten Zeichen markiert ist und nach Chemie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher