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Porträt eines Starters: Die Kurzgeschichte zum Roman »Starters« (German Edition)

Porträt eines Starters: Die Kurzgeschichte zum Roman »Starters« (German Edition)

Titel: Porträt eines Starters: Die Kurzgeschichte zum Roman »Starters« (German Edition)
Autoren: Lissa Price
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riecht, wechselt sie auf die andere Straßenseite.
    Unterwegs begegnen wir Enders mit ihrem typischen Silberhaar, das sie wie Ehrenabzeichen ihrer Langlebigkeit zur Schau stellen. Die Pharma-Konzerne waren nicht in der Lage, genug Impfstoff herzustellen, um die mittlere Generation wie meine Eltern zu retten, aber sie können diesen Enders eine Lebensdauer von zweihundert Jahren garantieren.
    Ich konzentriere mich auf Callie. Das Haar hängt ihr bis in den Rücken, und die Wasserflasche schaukelt an einem Schulter-Tragriemen. Ein paar friedliche Hausbesetzer kommen ihr entgegen und bleiben stehen, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Ich trete in den Schatten eines der leeren Häuser, als gehörte ich hierher, und warte im Schutz der Veranda. Ein vorsichtiger Blick um die Ecke verrät mir, dass die Gruppe sich verabschiedet und kehrtgemacht hat. Komisch. Callie geht nicht weiter, sondern bleibt auf dem Bürgersteig stehen, ganz allein, als warte sie auf jemanden.
    Dann sehe ich einen Kerl aus der anderen Richtung kommen. Er hält direkt auf Callie zu. Dem Aussehen nach dürfte er etwa so alt wie sie sein, der Kleidung nach eher älter.
    Wer ist dieser Typ? Kennt sie ihn? Teure Klamotten – Sportsakko und schicke Hose. Lederschuhe, die eher hinderlich wären, wenn er mal rennen müsste. Vor allem aber wirkt er sauber. Ich weiß, es gibt sie, die reichen Kids, aber du siehst sie fast nie auf der Straße, allein, ohne ihre Großeltern. Manchmal brettern sie in ihren eleganten Schlitten durch unsere Armenviertel. Aber wir befinden uns jetzt weiter nördlich, in einer feinen Gegend. Vielleicht erklärt das die Anwesenheit des reichen Starters.
    Callie und der Junge stehen vor einem kleinen Haus mit einem Rosenstrauch. Auf der Terrasse sitzt ein Ender mit verschränkten Armen in einem Korbsessel. Callie hört dem Typen aufmerksam zu und nickt immer wieder.
    Sein Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor. Ob ich ihn mal gezeichnet habe? Es passiert mir öfter, dass ich einen Fremden skizziere und später glaube, ich würde ihn kennen. Aber genau das ist es. Ich hatte diesen Typen gezeichnet. Vor ein paar Monaten. Als er noch im Erdgeschoss unseres Bürohauses lebte.
    Er sieht jetzt sehr viel besser aus. Wie ist er an diese Klamotten gekommen? Hat er den Jackpot geknackt oder eine verschollenen Ender-Angehörige entdeckt, die seine Vormundschaft übernahm? Vielleicht wohnt er deshalb nicht mehr bei uns. Das wäre mein Wunschtraum. Eine entfernte Großtante, von der ich noch nie gehört habe, mit einem großen, überheizten Haus und einer Küche, in der sich Berge von Chips und Süßigkeiten türmen, dazu eine viel zu große Menge von Gläsern mit Erdnussbutter und Marmelade. Und eine Kühltruhe. Mit einem Endlosvorrat an Pizza.
    Der Typ dreht sich um. Ich ziehe mich hinter die Veranda zurück. Er dürfte mich ruhig sehen, aber Callie soll nichts merken. Tut sie wohl auch nicht.
    Als ich wieder nach draußen spähe, gehen sie gerade los. Gemeinsam.
    Ich husche auf die andere Straßenseite. Jetzt kann ich sein Gesicht besser sehen. Sein Name fällt mir nicht ein, aber ich erinnere mich, dass er unter einem Auge eine lange Narbe von einer Schlägerei hatte. Wenn ich näher hinsehe, erkenne ich, dass die verschwunden ist. Vielleicht hat ihm die reiche Verwandte eine Laserbehandlung gestiftet. Vielleicht hat sie gedacht, damit ließe sich seine Vergangenheit als Straßen-Kid auslöschen.
    Ich beobachte ihn und Callie von hinten. Allmählich wage ich mich etwas näher. Ich bin noch etwa einen halben Straßenblock entfernt, als er seinen Arm um ihre Schultern legt.
    Ich spüre, dass mir heiß wird.
    Sie geht weiter, ohne seinen Arm abzuschütteln.
    Merken die denn nicht, wie komisch das aussieht, ein schick gekleideter reicher Jüngling und ein Starter-Mädchen aus der Gosse?
    Eine Patrouille gleitet langsam vorbei. Die Marshals beäugen erst mich, dann Callie und den Typen, aber sie halten nicht an.
    Was sucht Callie hier? Ist das eine Art Date? Wollte sie mir deshalb nicht verraten, was sie vorhatte?
    Sie ist mir keine Rechenschaft schuldig. Ich bin nicht mit ihr zusammen. Das hat wenig Perspektiven, wenn du kein Geld, keine Wohnung und nichts zu essen hast. Natürlich wäre ich gern mit Callie gegangen. Wenn die Verhältnisse es zugelassen hätten, wie vor dem Krieg. Aber da war ich erst vierzehn. Und was wusste ich da schon?
    Callie und der Typ bleiben vor einem Diner stehen.
    Um ein Haar hätte sie mich gesehen. Wie würde ich
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