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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula
Autoren: Mikael Niemi
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bezeichnet werden kann. Ein Tag im Wald, und so ein Typ würde Blut pissen. Und zu singen wurde erst recht als unmännlich angesehen, zumindest in der Gegend von Pajala und wenn es in nüchternem Zustand stattfand. Das dann auch noch auf Englisch zu tun, dieser Sprache mit viel zu wenig Kauwiderstand für die harten finnischen Mäuler, so nuschelig, dass nur Mädchen gute Noten darin bekommen konnten, dieses schneckenhafte Rotwelsch, lallend und feucht, erfunden von schlammtretenden Küstenbewohnern, die nie kämpfen mussten, die nie gehungert oder gefroren haben, eine Sprache für Faulenzer, Grasfresser, Kissenfurzer, so ohne jede Kraft, dass die Zunge wie eine abgeschnittene Vorhaut im Mund herumschlenkerte.
    Dann waren wir also doch knapsu. Denn aufhören zu spielen, nein, das konnten wir nicht.
    KAPITEL 19
    - über ein Mädchen mit schwarzem Volvo PV, über Eishockeyfelder und Ärsche und darüber, womit man sich in Pajala vergnügen kann.
    Unseren zweiten Auftritt hatten wir im Haus des Volkes von Kaunisvaara nach einem Treffen der Roten Jugend. Holgeri hatte es organisiert, er kannte ein Mädchen aus dem Vorstand, eine von dreißig, die in Palästinensertüchern herumstanden, Fransen im Gesicht, runder Brille und Schnabelschuhen, mit denen sie im Takt stampften. Man darf wohl sagen, dass das Echo verhalten war. Es waren ein paar Monate seit unserem Debüt in der Aula vergangen, und es war uns gelungen, unser Zusammenspiel zu verfeinern. Zwei der Stücke hatten wir selbst gemacht, der Rest waren Songs, die wir aus den Top Ten abgekupfert hatten. Ein paar alte Pioniere kamen herbei und stellten sich neugierig in die Tür. Alle gingen gleich wieder, außer einem Jungen, der seit einer Handgranatenübung beim Militär einen Hörschaden hatte. Er stand mit aufgerissenem Mund da und schob seine Mütze auf dem Kopf hin und her, und dachte, verdammt, was die heutzutage für einen Schindluder mit dem Strom treiben.
    Nach dem letzten Stück begann Holgeris Mädchen nach einer Zugabe zu rufen. Andere fielen ein. Wir standen noch auf der Bühne, und ich schielte nervös zu Erkki und Niila hinüber. Wir konnten keine anderen Stücke als die, die wir gespielt hatten.
    Da war ein Heulen zu vernehmen. Holgeri! Er stand dicht am Lautsprecher, die Lautstärke ganz runtergedreht. Ein elektrisches Geheul breitete sich im Raum aus, die Fensterscheiben erzitterten. Dann fing er an zu spielen. Allein, in grölender
    Verzerrung. Er sah das Publikum nicht an. Ging auf die Knie und stützte die Gitarre auf den Boden, schüttelte sie wie ein Mordopfer vor den Trichterlippen des Lautsprechers. Kratzte die lärmenden Saiten. Die Melodie klang bekannt. Aufgebrochen, schwankend wie eine in der Ferne gesendete Radioaufnahme, aber gleichzeitig voller Kraft. Wir anderen glotzten Holgeri nur an. Er legte sich auf den Rücken. Stieß die Gitarre mit einem harten Beckenstoß in den Himmel. Die Augen waren halb geschlossen, die Stirn verschwitzt. Dann bog er den Nacken nach hinten und fing an, mit den Zähnen zu spielen. Die gleiche, merkwürdig bekannte Melodie.
    »Hendrix!«, jubelte Niila in mein Ohr.
    »Besser!«, schrie ich zurück.
    Und erst da kam ich drauf, was er spielte. Die sowjetische Nationalhymne, dass die alten Holzwände des Hauses des Volkes erbebten.
    Anschließend kamen mehrere zu uns auf die Bühne und wollten wissen, wo wir politisch standen. Holgeri saß schief lächelnd wie nach einem Traum da, während zwei Mädchen versuchten, sich ihm auf den Schoß zu setzen. Ich selbst landete vor einem Mädchen mit merkwürdig getuschten, arabischen Augenbrauen. Ihr Haar war so glänzend schwarz, dass es aussah, als wäre es in ein Tintenfass getaucht worden. Das Gesicht dagegen war puderweiß. Sie hatte etwas Puppenhaftes an sich, eine dünne Zellophanhaut. Ihr Körper war unter bauschigen Hippiekleidern verborgen, aber die geschmeidigen Armgesten verrieten sie. Sie drehte ihr Becken, während sie mir zuschielte, kleine, vorsichtige Bewegungen. Und ich wusste, dass es da drinnen eine Frau gab, einen Hunger. Schweigend streckte sie die Hand aus, schüttelte meine, wie es Erwachsene tun, und lächelte mit kleinen, spitzen Zähnen. Ihr Handschlag fiel fest wie bei einem Jungen aus, er tat weh.
    Hinterher packten wir unsere Instrumente und die Verstärker zusammen. Der Junge mit der Käppi lief herum und grinste unschuldig, während er überprüfte, ob die Bräute schon Busen hatten. Der Kassierer gab uns Butterbrote mit Wurstscheiben und
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