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Polt.

Polt.

Titel: Polt.
Autoren: Alfred Komarek
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der Falsche Mehltau und diesmal war ausgerechnet der Grüne Veltliner betroffen, die wichtigste Rebsorte im Wiesbachtal. Im Herbst gab es eine deprimierend karge Lese, viele Fässer blieben leer. Zum Leben wird es diesmal nicht reichen, so viel stand fest. Und vor allem jüngere Weinbauern hatten in den vergangenen Jahren mit Hilfe der Raiffeisenbank kräftig investiert.
    Keiner redete im Wirtshaus über Schulden oder ernsthafte Sorgen, über Verzweiflung schon gar nicht. Aber so mancher wusste nicht recht, wie es weiter gehen sollte. Immerhin war die Qualität des neuen Jahrganges ein erfreuliches Thema, besonders die der Rotweine: Blauer Portugieser, Zweigelt, Blauburger, Sankt Laurent, aber auch Cabernet Sauvignon. »Wir haben einen Dreck«, hatte ein Weinbauer an diesem Vormittag gesagt, »aber darauf können wir stolz sein.« Das traf leider den Kern.
    Einen unbehaglichen Augenblick lang sah Polt ein Wiesbachtal vor sich, in dem alles vor die Hunde ging: ausgeblutete Dörfer, tote Kellergassen. Unsinn! Der Winter war ohne Frostschäden vorbeigegangen und es konnte nur besser werden im neuen Jahr. Und es war Frühling, noch nicht wirklich Frühling, aber doch ein wenig. Das Halbdunkel in der Wirtsstube war merklich heller geworden, in den Farben von altem Holz und altem Lack konnte, wer wollte, sanftes Feuer erahnen, trägen Leichtsinn. Viel Licht ließen die kleinen Fenster nicht herein, und das war schon gut so. Nach der Arbeit im Weingarten unter einem Himmel, der den Rest der Welt nach seinen Gesetzen leben ließ, oder nach seinen Launen, kam eine dämmrige Höhle gerade recht, eine enge Zuflucht mit vertrauten Umständen, in der Platz für alles blieb, aber begrenzt, eingezäunt, ummauert, abgemessen.
    Polt bemerkte, dass er doch nicht allein war. »Früh dran im Jahr, wie?«, murmelte er und schaute einer Fliege zu, wie sie matt über die Fensterscheibe kroch und dann auf dem weiß gestrichenen Holz im kühlen Sonnenlicht verharrte.
    »Ruhig, was, Simon?«
    Friedrich Kurzbachers Stimme klang von der Tür her. Gefolgt von Sepp Räuschl trat er näher und stellte zwei in den Bauernbündler eingewickelte Flaschen auf den Tisch. »Noch kellerfrisch, der Grüne. Vor vier Tagen hab ich filtriert.«
    Polt stand auf, holte drei Gläser und einen Korkenzieher. »Und? Genug da, fürs Wirtshaus?«
    »Wird sich grad noch ausgehen. Aber jetzt kosten wir erst einmal.«
    In den folgenden paar Minuten schwiegen die drei Männer, prüften die Farbe des Weines, senkten ihre Nasen in die Gläser, kosteten und schluckten. »Also, mir schmeckt er«, sagte Polt in die gedankenvolle Stille hinein.
    »Ja, dir.« Friedrich Kurzbacher warf ihm einen fast schon feindseligen Blick zu. »Was meinst du, Sepp? Also, ich glaub, der hat was muffig irgendwie.«
    Räuschl schüttelte langsam den Kopf. »Alles Einbildung, Friedrich. Du darfst nicht daran denken, wie die Trauben diesmal ausgeschaut haben. War ja wirklich zum Fürchten. Also, wenn du mich fragst: Sauber ist er, dein Veltliner. Und dass die Säure so spitz daherkommt na ja, unreife Trauben kann keiner reif machen.«
    »Wem sagst du das, Sepp. Es war weiß Gott genug Arbeit, die vertrockneten Beeren wegzubekommen. Hat aber sein müssen.«
    »Hast dann Aktivkohle zur Maische gegeben?«
    »Klar. So weit kenn ich mich schon noch aus. Nur was die Jungen heutzutage so lernen in der Weinbauschule da will ich nicht mehr mit. Also was ist? Schenken wir ihn aus, meinen Grünen?«
    Grinsend hoben Räuschl und Polt ihre Gläser, stießen sie aneinander, und zögernd folgte Kurzbacher ihrem Beispiel. Er nahm noch einen Schluck. »Komisch. Schon schmeckt er mir irgendwie besser.« Er schaute zum Fenster hin. »Und jetzt geh ich. Du gehst auch, Sepp.«
    »Warum?«
    »Weil wir zwei bald einmal zwei zu viel sind. Die Karin Walter kommt.«
    Polt war der Lehrerin entgegengegangen und nahm sie in die Arme. »Schön, dass du da bist, Karin.«
    »Aber ich hab deine Freunde vertrieben.«
    »Die kommen schon wieder. Magst was trinken? Wir haben gerade den jungen Grünen vom Kurzbacher gekostet.«
    »Hab ich auch gerade, Simon.«
    »Wie versteh ich das?«
    »Du schmeckst danach.«
    Er nahm ihr Gesicht zwischen die Hände. »Was ist? Kosten wir weiter?«
    »Du bist mir einer! Aber, ehrlich gesagt, am besten schmeckt mir der Simon Polt pur, ohne Veltliner, und ohne Wirtshaus. Ganz privat und nur für mich, weißt du?«
    »Gut, dann eben Sperrstunde. Wohin magst gehen?«
    »Jetzt bleib ich erst einmal da.
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