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Polt.

Polt.

Titel: Polt.
Autoren: Alfred Komarek
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bremsen ließ.
    Polt stutzte, als er im Halbdunkel ein wohlbekanntes Gebäude erblickte: Hier, im Haus Burgheim 56, hatte er fast zwei Jahrzehnte als Gendarm gearbeitet. Diese Dienststelle gab es nicht mehr, das Wiesbachtal wurde vom gut dreißig Kilometer entfernten Breitenfeld aus betreut. Ja, und die Gendarmerie hieß jetzt Polizei. Polt war, ganz in Gedanken, an Frau Habesams Kaufhaus vorbei zur vertrauten Adresse gefahren. Ach was, nicht mehr seine Welt. Er wendete und beeilte sich, ans richtige Ziel zu kommen. Seine Arbeitgeberin erwartete ihn vor der geöffneten Tür. Schweigend schaute sie auf die nahe Kirchturmuhr.
    Polt lehnte das Fahrrad an die Mauer. »Ja, ja, ich weiß schon. Aber doch nur ein paar Minuten!«
    »Zu spät ist zu spät, mein lieber Herr. Und wie schaun S’ denn drein?«
    »Wie jeden Tag, nicht wahr?«
    »Aber gehen S’. Diesen Blick kenn ich doch von irgendwo. Jetzt hab ich’s: Der heilige Stephanus aus dem Bauernkalender, wie er mir steht der Himmel offen! ruft. Nachher haben s’ ihn gesteinigt. Kaffee?«
    »Ja, gern!« Polt griff nach dem Rollstuhl.
    »Lassen S’ die Finger davon! Wer weiß, wohin Sie mich heute schieben, in Ihrer merkwürdigen Verfassung.«
    Dann saßen die beiden zwischen dem Verkaufsraum und dem Lager im kleinen Büro, das auch als Küche diente. Frau Habesam goss Kaffee ein und legte zwei Semmeln auf den Tisch. Polt griff prüfend zu. »Die sind aber von gestern.«
    »Darum müssen s’ ja weg. Eintunken, dann sind s’ butterweich. Also, was ist los mit Ihnen?«
    »Vater wird ich! Die Karin Walter…«
    »Wer sonst?« Jetzt erst begriff Frau Habesam die Tragweite dieser Mitteilung. »Ja, sind Sie denn noch zu retten? In Ihrem Alter! Und unsere verehrte Lehrerin ist auch grad kein junges Mädchen mehr. Außerdem stimmt die Reihenfolge nicht. Als ob das so schwer zum Merken war: erstens heiraten, zweitens Kinder machen. Andererseits: Der Simon Polt als Ehemann und Familienvateralso ich weiß nicht…«
    Polt schaute verblüfft auf. »Heiraten! Über alles Mögliche haben wir gestern geredet, die Karin und ich, nur nicht darüber.«
    »Dann wird’s Zeit. Alles muss seine Ordnung haben vor Gott und der Welt, irgendwie halt. Der Meinige war ja auch nicht grad ein Haupttreffer. Kein Wunder, hat ja bei uns nichts Gscheites gegeben in den Sechzigern. Aber es war auszuhalten mit dem Ferdl. Nur wenn er was getrunken hat, ist er frech geworden. Stellen Sie sich vor, Herr Polt, sagt der Lackel spät abends im Wirtshaus zu mir: ,Wennst ein Esel wärst, Loisi, könnt ich jetzt auf dir heimreiten.’ Darauf ich: ,Der Esel bist selber und reiten kannst nicht!«
    »Frau Habesam!«
    »Tun S’ nicht so unschuldig, Herr Kindesvater. Wird ich also auch noch Trauzeugin auf meine alten Tage!«
    »Danke fürs Angebot…«
    »Das war eine Feststellung. Ja, und noch was. Ich bin für dich ab sofort die Aloisia. Verstanden?«
    »Jaalso das freut mich äh … Aloisia.«
    »Frau Aloisia, wenn ich bitten darf. Und jetzt nimmst den Besen und kehrst auf. Ein reines Herz und ein sauberer Fußboden gehören zusammen, sag ich immer.«
    »Ja, Frau Aloisia.«
    Früher als sonst endete Polts Arbeitstag im Kaufhaus. Frau Habesam stellte fest, dass ohnehin nichts Rechtes mit ihm anzufangen sei, und entließ ihn mit einem Klaps auf den Hintern. »Nichts für ungut, Simon«, hatte sie feixend angemerkt, »ich hätt dir ja gern auf die Schulter geklopft, aber der verdammte Rollstuhl…«
    Karin Walter hatte an diesem Tag viel Arbeit und wollte ungestört sein. Polt blieb also Zeit. Zeit für sich.
    Noch immer war ihm irgendwie feierlich zu Mute. Und dann dieser Geruch in der kühlen, feuchten Luft… Ein wenig Rauch, in den Häusern wurde ja noch geheizt, aber da war auch nasse Erde drin und frisches Gras, Frühling, na klar. Ob der Nussbaum vor seinem Presshaus in der Burgheimer Kellergasse schon aufgewacht war, mit winzigen Blattspitzen an den kahlen Zweigen? Ein guter Grund jedenfalls, Nachschau zu halten, vielleicht Wein aus dem Keller zu holen und im Presshaus eine kleine Feierstunde zu begehen, eine, die nur dem werdenden Vater Polt gehörte. Natürlich würde er Karin Walter in seine Gedanken einpacken, ganz fest auch noch. Schade, dass sie ihn nicht begleiten konnte, aber Polt kam auch ganz gut mit sich allein zurecht, sehr gut eigentlich, er hatte ja viele Jahre Übung darin. Die Rückkehr ins Dorf durfte warten. Für die Ernährung seines gefräßigen Katers Czernohorsky war gesorgt, das
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