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Polt.

Polt.

Titel: Polt.
Autoren: Alfred Komarek
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ergeben, ein Ritual von sanfter Zügellosigkeit. Gestritten oder gerauft wurde in den Kellern so gut wie nie, das passte nicht zur erdigen Würde dieser unterirdischen Schatzkammern. Doch Jahr für Jahr war es stiller geworden in der Kellergasse. Viele Weinbauern - der Höllenbauer übrigens auch - wollten sich nicht mehr der Natur ihrer Keller und Holzfässer ausliefern und setzten auf kontrollierten Ausbau im Stahltank. Das mochte den neuesten Erkenntnissen entsprechen, doch für Polt schwand ein dunkles Zauberreich dahin.
    Noch weniger konnte er jene Bauern verstehen, die sich neuerdings dafür genierten, mit Kunden und Freunden den Wein im Presshaus oder im Keller zu verkosten. Einer, der Zöbinger Willi, hatte sich sogar einen Architekten geholt, der dann mit Beton, Glas und Chrom eine Art Schneise ins alte Bauernhaus schlug, ein önologisches Erlebnis-Labor sozusagen. Das sei modern und hygienisch, hatte der Zöbinger argumentiert. Die Gläser seien doch früher auch sauber gewesen, hatte Polt dagegengehalten, und heute Modernes sei morgen unmodern, während die Kellergasse seit über zweihundert Jahren sehr überzeugend Nützlichkeit und Genuss verband. Aber die langen Reihen der schlichten, weiß gekalkten Gebäude erinnerten auch an ein armes, ja armseliges Leben, in dem noch bis in die jüngste Vergangenheit die Herrschaft, die Kirche, die Großgrundbesitzer das Sagen hatten. Kein Wunder, dass etwas Neues hermusste, wenn man es sich endlich leisten konnte, und sei es auf Kredit.
    Auf halbem Weg sah Polt dann doch einen Menschen. Ein sehr alter Mann, dürr und kleinwüchsig, trat aus einem der Presshäuser, hantierte umständlich an der Tür, wandte sich zum Gehen und verharrte, als er Geräusche hörte. Polt erkannte Hans Hornung. Letztes Jahr im September war er neunzig geworden. Es hatte eine große Geburtstagsfeier gegeben mit Kindern, Enkeln und Urenkeln. Der Pfarrer kam und brachte eine Flasche Messwein mit, und der Bürgermeister stellte sogar einen opulent gefüllten Geschenkkorb auf den Tisch. Das nächste Mal würde Hans Hornung wohl erst wieder bei seinem Begräbnis öffentliches Aufsehen erregen. Polt bremste, grüßte. »Wir zwei bringen Leben in die Kellergasse. Nicht wahr, Hans?«
    Der Alte hob müde den Kopf. »Zum Leben langt’s nicht mehr, Simon. Aber das Sterben freut mich auch nicht, so lang ich noch jeden Tag in den Keller kann. Alles schon auf die Jungen geschrieben, aber sie lassen mich halt gewähren. Hast Dienst morgen?«
    »Ich bin schon lang kein Gendarm mehr.«
    »Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
    »Siehst! So ein fauler Hund war ich.« Polt grinste, hob grüßend die Hand und setzte seinen Weg fort. Kein Gendarm mehraber Vater, bald einmal! Schön, wenn er mit jemandem darüber reden könnte, der mehr Verständnis für ihn aufbrachte als diese Krämerseele von Habesam. Und wieder kam ihm Norbert Sailer in den Sinn. Er wohnte mit seiner Birgit ja ganz in der Nähe, dort, wo die Presshäuser der Kellergasse an den Ort Burgheim grenzten.
    Polt versuchte es einfach und traf die beiden in der Küche an. Norbert Sailer stand am Herd, seine Frau saß am Tisch und legte das Illustrierte Heimatblatt zur Seite, als sie den Besucher erblickte. »Simon! Herein mit dir! Du kommst grad recht zum Abendessen! Es gibt Kürbiscremesuppe aus der Tiefkühltruhe und dann Weintraubenstrudel - auch aus der Tiefkühltruhe.«
    Polt setzte sich zu ihr. »Es kann nur besser werden nach dem Mittagsmenü bei der Frau Habesam, richtig gesagt bei der Frau Aloisia. Neuerdings sind wir sehr vertraut miteinander.«
    »Da schau her. Was hat’s denn gegeben?«
    »Erbswurstsuppe aus dem Stanniol und Hering in Senfsauce aus der Dose. Seit drei Monaten abgelaufen. Aber ich verdien halt nichts Besseres als Gemischtwarenhandelsgehilfe in Ausbildung. Und du, Norbert? Hab gar nicht gewusst, dass du kochen kannst!«
    »Ich kann’s nicht, aber ich tu’s gern.«
    »Ah ja. Gilt das auch für deine Mitwirkung im Kirchenchor?«
    »Frechdachs. Mein Gesang wird allseits gerühmt, sogar von deiner neuen Freundin Aloisia, die ist ja auch dabei. Aber wenn wir schon bei anrüchigen Nebenbeschäftigungen sind: Wie geht’s dir denn so als Wirt?«
    »Ganz gut. Nur die Karin Walter hat keine rechte Freude damit. Wie war doch gleich ihre Red? Wart, ich bring’s schon zusammen: Mit Knaben, gleich welchen Alters, die an der Quelle sitzen, ist es noch nie gut gegangen … Sie hat halt Angst, dass ich zu meinem besten Gast
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