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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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Jahrhunderts.
    Meinem Vater waren die Parallelen zwischen den USA und Rom nicht verborgen geblieben. Er hatte als junger Mann den Untergang Europas im Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebt und danach verfolgt, wie seine Heimat zu einer Supermacht wurde. Er wusste, wie schnell sie diese Position auch wieder verlieren konnte, und fragte sich immer wieder, was genau am Ende dazu führt, dass ein Weltreich untergeht. In Gibbons Buch über den Fall Roms und dessen Gründe fand er die Antwort: Dekadenz! Ginge das so weiter mit den verweichlichten »Seid-nett-zueinander«-Hippies und den Kokain schnupfenden Discokings, würde Amerika bald zu dekadent werden, um sich zu verteidigen, wenn die Barbaren eines Tages vor den Toren stünden.
    Das Wort »Dekadenz« ist just ein Lieblingswort unter amerikanischen Kulturpessimisten, und jeder versteht es anders.
    Im Weltbild der Rechten entsteht Dekadenz, wenn man die ur-amerikanischen Werte wie Eigenständigkeit, Geschäftstüchtigkeit, Gott und Familie vernachlässigt. Auch Waffenbesitz, voreheliche Enthaltsamkeit und die Todesstrafe gehören zu den guten alten Werten – sich montags krankzumelden, wenn man sonntags zu viel gesoffen hat, bei jedem Pups gleich zum Arzt zu rennen und überhaupt alles, was im Sündenbabel Hollywood passiert, dagegen nicht. Wenn Amerikaner nicht mehr ums Überleben kämpfen müssen, wenn keine Prioritäten mehr gesetzt werden und alles für einen getan wird, dann geht es mit den USA bald den Bach runter, so ihre Überzeugung.
    Die Linken führen denselben Begriff im Munde, meinen aber etwas ganz anderes damit. Wenn es in Amerika nicht mehr möglich ist, so zu leben, wie man leben will, wenn sich alle anpassen müssen und die Gesellschaft das Individuum nur noch in Standardnorm-Ausführung akzeptiert, dann hat das Land seine ursprüngliche Bestimmung verloren und ist nicht mehr überlebensfähig. Zeichen hierfür sind in ihren Augen das Verbot von Homo-Ehe und Abtreibung sowie die Verteufelung des Atheismus – und wenn wir schon dabei sind, über Freiheit zu diskutieren, könnte man eigentlich auch gleich Haschisch legalisieren …
    Nur in einem Punkt sind sich alle einig: »Dekadenz« steht für die Über-Zivilisierung des Landes. Alle befürchten sie, dass wir zu viel Fortschritt gemacht haben, dass wir nicht mehr das sind, was wir vormals waren, als das Einzige, was wir mit dem Begriff »Staat« verbanden, die doofen britischen Steuereintreiber waren. »Dekadenz« bedeutet nichts anderes als den Verlust der inneren Wildnis.
    Genau genommen hat unser Land ja auch nirgendwo anders als … na ja, als mitten in der Wildnis entstehen können.
    Es ist ein Rätsel, wieso die amerikanische Revolution gegen England 1776 eigentlich erfolgreich war. »Erfolgreich« bedeutet ja nicht bloß, dass man die Engländer tatsächlich zu schlagen vermochte. Die Frage ist doch auch: Wie konnte aus dieser Revolution ein erfolgreicher Staat hervorgehen?
    Statistisch gesehen ist das nämlich die große Ausnahme. Die allermeisten Revolutionen enden in Chaos, Blutvergießen, Bürgerkrieg und Diktatur.
    Nur in Amerika kam alles anders. Aus einer losen Verbindung von Kolonisten, die erst mal bloß auf ihr eigenes Wohl bedacht waren, entwickelte sich die erste funktionierende Demokratie der Neuzeit, die komplett ohne König und Adel auskam – und die hält nun schon über 200 Jahre.
    Es kam nicht zum Terror. Weder Könige noch deren Ehefrauen wurden öffentlich enthauptet, weder Prinzen noch Prinzessinnen, ob ehelich oder unehelich, aus dem Land gejagt oder in den Knast gesteckt. Niemand sagte: »Hm, das Volk macht auch Fehler, das Gesocks muss erzogen werden, wir brauchen eine Geheimpolizei, Zensur und Wachen an der Grenze.«
    Eines der wichtigsten Ereignisse unserer Geschichte folgte acht Jahre nach Gründung der USA , als George Washington sich nicht zum »President for life« ausrief, was man durchaus befürchtet hatte, sondern sich nach zwei Amtszeiten nicht mehr zur Verfügung stellte. Erst da wurde uns klar, dass wir eine Demokratie bleiben würden.
    Warum?
    Weil all dies in einer gesellschaftlichen Wildnis stattfand.
    König, Adel, die ganzen verstaubten Traditionen, die verfestigten Interessengruppen saßen weit weg in England. Es gab so gut wie keine gesellschaftliche Oberschicht, deren Interessen akut gefährdet waren. Von der Französischen oder Russischen Revolution profitierten die unteren Schichten nur, wenn die oberen ausgeschaltet werden konnten. In Amerika
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