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Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Pixity - Stadt der Unsichtbaren

Titel: Pixity - Stadt der Unsichtbaren
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Formulierung. Viele Gesichter oder kein Gesicht, kein Mann. Er war auch eine Frau, Monika, 25 Jahre alt und Studentin der Psychologie, »hab mich auf Kinder und Jugendliche spezialisiert, Schätzchen, ich weiß, was du grad durchmachst«. Corinna, 14, die sich selbst hasste und nicht auf Klassenfotos wollte, weil das die Bilder doch entwertete. Sie verletzte sich selbst und träumte davon, sich ein Messer in den Hals zu rammen, um die Wärme des Blutes auf der Haut zu spüren. Einmal hatte sie in einem Forum darüber geredet und sofort war Monika parat gewesen, »schreib mir ne Mail, dann können wir in Ruhe reden.«
    Borderline-Syndrom, hatte Monika diagnostiziert. »Das heißt Grenzlinie, verstehst du? Isst du richtig? Was wiegst du? Wie groß bist du? Probleme bei der Menstruation, Bauchschmerzen, Kopfweh? Bist du schon mal von einem Jungen angefasst worden? Ist eigentlich normal alles. Die Pubertät ist eine neurotische Phase, immer. Ich konnte mich, als ich so alt war wie du, auch nicht leiden. Aber es gibt eben eine Grenzlinie, und da wird aus der Neurose eine Psychose. Und leider neigen Psychosen dazu, sich zu verfestigen, die gehen nicht einfach weg, wenn der Anlass weg ist, also die Pubertät zum Beispiel.«
    Ein reger Mailaustausch. Corinna entblößte sich, Monika deutete, riet zu professioneller Hilfe, einem Psychologen, wenigstens mal das Jugendtelefon anrufen, die helfen einem schon weiter. Corinna zögerte. Sie schrieb nur mit Monika, lange Mails, sie war traurig, wenn Monika einen Tag lang nicht antwortete, aber sie verstand es natürlich.
    Sarkovy hatte sich kundig gemacht, verwendete Fachausdrücke, erklärte sie in einer verständlichen Sprache. Du darfst das nicht alleine mit dir austragen, Schätzchen, geh zum Hausarzt wenigstens, dem vertraust du doch. Ja, sagte Corinna, nein, schreib lieber mit dir drüber. Nach Wochen ging sie dann zum Arzt. Monika war zufrieden. »Halt mich auf dem Laufenden, Mädilein, du kannst immer zu mir kommen.« Bentner glaubte es.
    Sarkovy würde nicht kommen, das stand fest. Er hockte in seiner Pension und überlegte, wie auch immer, was auch immer. Er war wohl auch Layla-Anne nicht begegnet, hatte kein Hotelzimmer genommen, um zu tun, was das Kind befürchtete. Zimmer 422. Klopf einfach an, komm rein. Wir werden viel Spaß miteinander haben. Anderenfalls …
    Und Layla-Anne hatte vor dem Zimmer gestanden, nicht angeklopft, war zum Fenster gegangen, hatte in die Tiefe geschaut, auch in ihrem Kopf rasten die Bilder, ein nackter älterer Mann, der sie hastig oder langsam auszog, war egal, ein Foto, das an ihre Angehörigen und Freunde geschickt wurde, das die Alternative, eine dritte gab es nicht, gab es doch, schau mal runter auf den Asphalt, auf die Dächer der Autos.
    Und sie öffnet das Fenster, lehnt sich hinaus, sie weiß nicht, dass Zimmer 422 leer ist, das Ganze doch nur ein dämonischer Scherz, oder es wird von einem Handelsvertreter bewohnt, der hier auf seine verheiratete Geliebte wartet, schnell noch eine raucht. Und sie lehnt sich immer weiter hinaus, sie steht gerade noch auf den Zehenspitzen, der Schwerpunkt verändert sich mit jedem bisschen Atem, das aus dem offenen Mund kommt, die Zehenspitzen berühren den Boden nicht mehr, für einen Moment sind die Dinge in der Schwebe und eine einzige, eine letzte Bewegung entscheidet, ob Layla-Anne nach vorne kippt oder zurückwippt, und sie kippt nach vorne und fällt.
    Und irgendwo sitzt Sarkovy in seinem Wagen. Unten auf dem Parkplatz? Anzunehmen. Er sieht das Mädchen fallen, ein Körper wie in Bonbonpapier gewickelt. Hatte er ihr doch gesagt. Zieh dir was Knallbuntes an, Schatz, was richtig Scharfes. Er sah, wie sie das Hotel betrat, jeder Schritt war ein Schritt an Fäden, die er in der Hand hielt. Jetzt ging sie rauf. Vielleicht hatte er ihr sogar gesagt, tritt ans Fenster, Mädchen, guck raus. Und schnell zurück zum Parkplatz, wo das Auto steht. Sich reinsetzen, die Kamera raus, fotografieren, nein, er hatte sie schon vorher geknipst, er brauchte die Bilder. Eine geile Dreizehnjährige, die wie eine kleine Nutte gekleidet war.
    Oder doch ganz anders? Sarkovy am Ende des Flurs am Fenster, Layla-Anne kommt mit jedem Schritt näher? Ein Zimmer hatte er nicht genommen, ausgeschlossen. Das hätte die Polizei rausgefunden und auch sonst wäre Michael dieses Risiko nicht eingegangen. Aber sie mal schnell berühren da oben? Mal schnell das Shirt hoch, ich fotografier dich. Mal rasch die Hose runter, davon
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