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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel
Autoren: Anna Stothard
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um
den Hals. Sie fühlte sich schwer und tot an. Zu Hause in London hatte ich eine
weiße Kunststoffkommode voller Jogginganzüge, unförmiger Oberteile und schräger
T-Shirts, über die Jahre in der Schule aus Fundsachen oder aus Sportumkleiden
zusammengesucht. An den Schubladen klebten die verblichenen Reste roter
Arsenal-Fußballsticker, obendrauf standen drei Fußballpokale und ein Schwimmpokal.
Irgendwann mal war ich auf diese Trophäen stolz gewesen, bis sie immer mehr mit
dem dunklen Magenta meiner Zimmerwände verschmolzen.
    In meiner Wohnung zu Hause fühlte sich nichts weich an. Weil Dad
eine Schwäche für »Fundstücke« hatte, lagen auf sämtlichen Betten diese
Pseudosteppdecken aus Polyester, nach und nach in Frühstückspensionen
zusammengeklaut. Nicht dass wir oft verreist wären, aber wenn, dann fuhren wir
nie ein zweites Mal an denselben Ort. Meine Decke hatte ein Blumenmuster in
wässrigen Pastellfarben, die von Daphne und Dad zierten bräunliche
Brombeerranken. Wir besaßen noch zwei tolle Badehandtücher aus dem Hilton in
Brighton, wo Daphne und Dad ihre Flitterwochen verbracht hatten, und fünf
fadenscheinige grüne aus dem Fitnessstudio, wo Daphne mal am Tresen gearbeitet
hatte. Obwohl wir keine größeren Geldprobleme hatten, machte Dad nichts
glücklicher, als Dinge gratis zu bekommen. Eines Tages kam er mit Unmengen
ausrangierter Farbdosen an, die vor dem Baumarkt am anderen Ende unserer Straße
gestanden hatten. Es war Ausschuss, weil die Farben falsch [15]  gemischt worden
waren. Dad bestand darauf, dass wir meine Herbstferien damit verbrachten, einen
Regenbogen aus verschmähten Farben an unsere vergilbten, ehemals weißen Wände
zu malen. Das »Kanariengelb« unserer Badezimmerwände sah im Sonnenlicht grün
aus, das »Rum-Karamell« unserer Küchenschränke war nichts als ein wässriger
Überzug, das »Palastsamt« meiner Zimmerwände wirkte eher morastig als
majestätisch, und die »Rubinfontäne« an unseren Wohnzimmerwänden erinnerte an
aufgeschürfte Knie. Dad ließ sich auch nicht davon abbringen, den Fußboden im
Wohnzimmer neu zu lackieren, auch wenn der geklaute Lack sandig war, weil er
eigentlich dazu diente, Fabrikböden rutschfest zu machen.
    Ich warf einen Blick zum Bett und auf den Rothaarigen, der jetzt zu
schnarchen begonnen hatte. Auf dem Nachttisch stand ein Foto seiner Hochzeit
mit Lily, daneben lag die Hochglanz-Taschenbuchausgabe eines Romans. Schwer zu
sagen, wie alt Lily auf dem Foto sein mochte; ihr Kleid jedenfalls war schlicht
und weiß, ihre großen braunen Augen verdeckt von einem Schleier. Der Bräutigam
sah wesentlich attraktiver aus als so, wie er da auf dem Bett lag. Er stand
hinter seiner Frau, im Gesicht einen Ausdruck belustigt-verblüffter
Ergebenheit, als könne er sein Glück kaum fassen. Das Hochzeitskleid entdeckte
ich auch tatsächlich auf dem Schrankboden, wo es in der Plastikhülle einer
Reinigung wohl seit der Prügelei zerknautschte.
    Ich besaß nur ein Foto von Lily, aus der Zeit, bevor sie uns
verließ. Ich hatte es in Dads [16]  Schreibtischschublade neben verschütteter
Tinte, alten Stromrechnungen und einem Wust Staubflusen gefunden. Sie war
siebzehn, als sie verschwand, drei Jahre nach meiner Geburt. Auf dem Foto hocken
sie und Dad mit mir in einem Fotoautomaten. Dad hat Pickel, Lily pinkes Haar.
Sie färbte es immer wieder anders. Dad sieht Lily an, die sich schon von uns
abgewandt hat; ihr Blick verliert sich im Ungewissen. Ich schaue als Einzige in
die Kamera. Ein paar Monate nach dieser Aufnahme muss sie gegangen sein. Sie
sieht aus, als verflüchtige sie sich bereits aus dem Fotoautomaten in der
U-Bahn-Station, als verwandle sie sich durch den Blitz der Kamera in eine Elfe
oder einen Poltergeist. Ich konnte sie mir in unserem Café auch gar nicht
vorstellen, oder wie sie mir bei den Hausaufgaben half. Sie war immer nur ein
unbestimmter Gedanke in meinem Kopf, wie ein Schemen, kurz davor, sich am Rand
meines Gesichtsfelds zu materialisieren, was jedoch nie geschah. Niemand hörte
mehr etwas von ihr, nachdem sie weg war. Wir wussten nicht einmal, dass sie
nach Amerika ausgewandert war. Als ich von ihrem Tod erfuhr, kam sie mir das
erste Mal halbwegs real vor. Das war wenigstens etwas Konkretes. Nicht so wie
die vage Erinnerung an ihren Geruch oder Geschichten darüber, wie sie Geld aus
Omas Portemonnaie geklaut oder sich bei ihrem ersten Date mit Dad in einem
Aquarium getroffen hatte. Das hier war eine Tatsache. Sie war tot.
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