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Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen
Autoren: Will Berthold
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Ticket wieder zu. »Have a good flight.«
    Der Mann im sportiven Reisedreß nickt lächelnd, geht durch den Zoll und dann sofort an die kleine Bar. Für den Kaffee ist es zu spät, für den Whisky noch zu früh, doch in solchen Fällen entscheidet sich der Captain der US-Army meistens für einen Bourbon, einen doppelten. Leber und Geldbörse gestatten ihm das ohne weiteres, und künftig wird nicht schon am frühen Morgen ein mißtrauischer Colonel nach einer möglichen Alkoholfahne schnuppern. Der Demobilisierte ist entschlossen, sich jetzt auf die Fahne der Lebenslust einschwören zu lassen.
    Er stellt sein Bordcase ab, läßt es aber nicht aus den Augen, so, als enthielte es ein wertvolles Mitbringsel für Mrs. Steel – doch eine solche gibt es nicht. Die elegante Flugtasche birgt nur Geld, Dollars, allerdings in ungewöhnlicher Menge.
    Der Mann, der jetzt über die Bodentreppe geht, ist einen Meter achtzig groß, hat ein schmales intelligentes Gesicht, das einmal geordnet werden müßte, eine hohe Stirn, selbstsichere Augen und Geld wie Heu. Er ist bester Laune, denn er sieht seine Zukunft mit Annehmlichkeiten aller Art tapeziert. Er lächelt fröhlich wie der Junge auf der Zahnpastareklame. Eigentlich ist Robert S. Steel noch immer Offizier der US-Army und müßte auf einem dichtbesetzten Truppen-Transporter die Heimreise antreten, aber er hatte noch ein paar Wochen Urlaub gut und sich entschlossen, auf eigene Kosten und in ziviler Gelassenheit in die Staaten zurückzufliegen. Fünf Jahre Militärzeit sind schließlich genug; die Uniform wird er nur noch ein einziges Mal anlegen: bei seiner offiziellen Verabschiedung.
    Der Heimkehrer verstaut sein Handgepäck vorsichtig, als enthielte es blattfeines Porzellan. Dann überfliegt er lustlos die Schlagzeilen der ›New York Times‹. Professor George Gallup, der Erfinder und Papst der Demoskopie – er verkauft seine Vorhersagen an 162 Zeitungen –, prophezeit als Ausgang der US-Präsidentenwahl eine vernichtende Niederlage für Harry S. Truman. Der Ex-Captain zeigt für diese Prognose nur mäßiges Interesse. Zwar gab es in seinem Leben einmal einen Zeitpunkt, zu dem er überlegte, ob er nicht in der Demokratischen Partei eine Karriere anstreben sollte; inzwischen aber hält er Politik für eine Disziplin von Selbstdarstellern, Illusionisten, Lügnern und Gauklern. Für die Kunst des möglichen Profits. Es hindert ihn aber nicht daran, die Rivalen Truman und Dewey gleichermaßen zu schätzen; den amtierenden Präsidenten, weil er den Augiasstall seines Vorgängers rasch gesäubert, Dewey, weil er sich als Generalstaatsanwalt beim Kampf gegen die Mafia besonders ausgezeichnet hatte, und das zu einer Zeit, in der FBI-Chef Hoover noch immer behauptete, in Amerika gäbe es kein organisiertes Verbrechen; dabei lagen in den obskuren Vierteln New Yorks die Leichen erschossener Gangster auf den Straßen herum wie Müll.
    Die Meldung, die er auf der nächsten Seite unter ›Vermischtes‹ findet, amüsiert ihn: Im Vergnügungspark der schwedischen Stadt Göteborg, einem bevorzugten Tummelplatz für Liebespaare, waren nach Abschluß der Sommersaison bei der Herbstreinigung einige hundert Eheringe gefunden und nicht abgeholt worden. Schwerenöter, nicht treu wie Gold, verfügen meistens über genügend Geld, um sich neue Eheringe anzuschaffen. Meistens gilt: Wer arm ist, bleibt auch treu.
    Zwei Reihen vor ihm schlichtet die Stewardess den Streit um einen Fensterplatz. Sie hat eine angenehme Stimme, stammt offensichtlich aus New England. Steel beugt sich nach vorn, bekommt aber nicht viel von ihr zu sehen, nur schmale Fesseln und prächtig gewachsene lange Beine in dunkelblauen Nylons. Diesmal kann er nichts dafür, doch sonst ist sein erster Blick auf Frauen und Mädchen oft peinlich beinlich. Er möchte die ganze Bordfee inspizieren, aber sie ist noch immer beschäftigt und es ist mehr von ihr zu hören als zu sehen. Als sie sich Steel schließlich zuwendet, macht er sich klar, daß er ihre Beine mindestens fünf Minuten länger kennt als ihr Gesicht, das ihn keineswegs enttäuscht. Es wird von brünetten Haaren umrahmt. Die Hochgewachsene hat helle Augen und lustige Grübchen und ist perfekt zurechtgemacht.
    Laut Namensschild heißt sie Copperfield.
    »Where are you from?« fragt der Passagier die Stewardess.
    »From Boston.«
    Steel hat richtig getippt, die Stewardess ist eine Neuengländerin. Sie bietet ihm wahlweise Bonbons oder Chewing-gum an und stellt dabei fest,
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