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Piesberg in Flammen

Piesberg in Flammen

Titel: Piesberg in Flammen
Autoren: Heinrich-Stefan Noelke
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Strickjacke von unten her aufzuknöpfen. »Nicht«, sagt sie, doch der Junge wird ärgerlich, also lässt sie ihn. Darunter trägt sie einen hellblauen BH . Er betrachtet ihren Nabel und zupft einen Wollflusen heraus. Zerpflückt ihn interessiert mit seinen Fingern. Er atmet jetzt ganz ruhig.
    Sie hat den Kopf geneigt und sieht ihm zu, während sie nicht aufhört, seinen Rücken zu streicheln.
    Er schmiegt sein Gesicht an ihre Bauchfalte und schlingt die Arme um ihren Leib. Dann greift er höher, der Junge weiß, was er tut. Er fordert, doch sie hält seine Hände fest. »Nicht«, sagt sie noch einmal und setzt sich schließlich durch.
    Sie beugt sich vor und birgt sein Gesicht an ihrer Brust. So verharren sie ein paar Sekunden, dann lässt sie ihn frei. Er berührt sie noch ein- oder zweimal, mehr geschieht nicht. Reglos betrachtet er sie ein paar Minuten, als spüre er das Leben in ihr.
    Da öffnet sich plötzlich die Tür, und die Mutter kommt herein. Überrascht zunächst, empört, doch dann bedenkt sie die Situation. Sie lacht schallend. Es ist ein spottendes, boshaftes Lachen.

EINS
    Als im März der lange Winter endlich an sein verdientes Ende kam, machte Hero Dyk sich selbst ein Geschenk. Bestens informiert über die neuesten Trends auf zwei Rädern, kaufte er sich ein Pedelec, das er auf den Namen »Flyer« taufte.
    Â»Ein Rad, das sich fährt wie jedes andere«, schrieb er in sein Notizbuch, »aber es hilft dem Sportler mit elektrischer Energie. Es ist ein großes Vergnügen, mit seiner Hilfe neue Wege zu finden.«
    Flyer war orangerot lackiert. Hero hatte eine hellblaue Windjacke dazu gewählt und einen Helm in passender Farbe. Das Rad war äußerst robust gebaut und eignete sich gut, einen so großen Mann wie Hero Dyk zu tragen. Es machte ihm Spaß, sich wie ein frühes Insekt in den dichten Verkehr zu mischen. Mit den vielen Farben beschwor er eine erste Ahnung des Frühlings herauf. Sein Kopf war fast kahl geschoren und schien zu groß für den schmalen Körper. Seine Bewegungen wirkten linkisch. Ungeschickt, wie man es bei großen Menschen häufig sieht.
    Die Stadt fühlte sich neu an und voller Hoffnung auf Unbekanntes. Die im Winter kahlen Bäume gaben den Blick frei auf Ecken und Höfe, die sich bald wieder hinter dichtem Laub verstecken würden. Das alles galt es zu erkunden, und doch fiel es ihm heute schwer, sich daran zu erfreuen.
    Er bewohnte eine der alten Sandsteinvillen am Rande der Osnabrücker Innenstadt. Hier lebte und arbeitete er. Mehrere seiner Romane waren verfilmt worden, und er litt weder an Armut noch an fehlender Anerkennung. Ganz im Gegenteil.
    Das, woran er litt, war seine Mutter Francisca, die zu ihm gezogen war. »Als sei alles in ihrem Sinne getan«, stand in seinen Notizen zu lesen. »Ihrem Plan folgend.«
    Aber der Tag war zu schön für schlechte Gedanken. Es war noch recht früh am Morgen. Die kleine schwarze Frau hatte ihn zur Heißmangel geschickt, dort ließ er seine Hemden bügeln. Es war an der Zeit, die Rechnung zu zahlen. Ein kleines Haus aus Stein zu Füßen des herrschaftlichen Westerberges, es mochte früher einem Zöllner gedient haben, einer Concierge oder einem Torhüter. Drei Frauen gingen hier ihrem Beruf nach. Vor allem im Sommer war der Raum unerträglich heiß.
    Die Chefin begrüßte ihn freundlich, aber mit der gebotenen Zurückhaltung des Norddeutschen. Sie hieß Marta Bents. »Herr Dyk«, sagte sie besorgt, nachdem er bezahlt hatte. »Ich habe neulich in der Zeitung einen Bericht über Ihre letzte Lesung gefunden.«
    Â»Machen Sie sich keine Sorgen«, nahm Hero Dyk ihr den Wind aus den Segeln. »So schlecht, wie es dort zu lesen stand, war ich nicht. Die Veranstaltung war zudem ganz gut besucht.«
    Die Frauen lächelten ihn an.
    Â»Der Reporter schrieb, er sei eingeschlafen«, warf ihm eine der beiden Mitarbeiterinnen vor, eine untersetzte, kräftige Frau mit bloßen Armen.
    Â»Das ist schlecht möglich«, sagte Hero Dyk. »Denn er ist gegangen, als ich kaum zwei Sätze gelesen hatte. So einer muss zu vielen Veranstaltungen.«
    Â»Es heißt, Sie hätten keine Themen mehr«, sagte die andere Mitarbeiterin, die sehr schlank und bleich war. Ihr krauses Haar wuchs ihr bis auf die Schultern, und ihr Blick war traurig.
    Hero Dyk antwortete nicht darauf. Zwei weitere
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