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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal
Autoren: R Zimmer
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Alltagsintuitionen,
     zu dem, was tief in unserem normalen Menschenverstand eingeprägt ist. Ein als gerecht angesehener Zustand darf nur dann verändert
     werden, wenn damit noch bestehende Ungerechtigkeiten beseitigt werden, ebenso wie eine als wahr angesehene Theorie nur aufgegeben
     werden darf, wenn durch die neue Theorie die Zahl der Irrtümer verringert wird.
    Die Gerechtigkeit duldet nach Rawls keine Kompromisse. Deshalb ergreift er auch eindeutig Partei in dem Streit, der in der
     Philosophie zwischen dem Gerechten und dem Guten geführt wurde. Der Utilitarismus hatte das gerechte, das richtige Handeln
     von dem Guten, also dem allgemeinen Wohl, abhängig gemacht, das durch dieses Handeln erreicht wird. Das Gute ist danach dem
     Gerechten vorgeordnet. Für den Utilitarismus ist entscheidend, was als Ergebnis herauskommt. Rawls dreht diese Wertordnung
     um. Für ihn ist das Gerechte dem Guten vorgeordnet. Als gut und erstrebenswert gilt ihm vor allem das, was gerecht ist.
    |231| Dieser Vorrang der Gerechtigkeit begründet auch Rawls’ Position in dem ideologischen Kampf zwischen Liberalismus und Sozialismus,
     der in der westlichen Welt seit der Französischen Revolution geführt wurde. Der Liberalismus gab der Freiheit und den individuellen
     Bürgerrechten, die verschiedenen Spielarten des Sozialismus gaben der Gleichheit und der sozialen Umgestaltung den Vorrang.
     In den englischsprachigen Ländern hatte der Liberalismus die politische Kultur beherrscht und sich dabei meist mit der Moralphilosophie
     des Utilitarismus verbunden.
    John Rawls vertritt nun einen Liberalismus, der sich sowohl gegen Utilitarismus als auch gegen Sozialismus wendet. Sein Programm
     ist das einer »Gerechtigkeit als Fairness«, die sich zwar um die ökonomische Absicherung der sozial Schwachen bemüht, aber
     – anders als der Sozialismus – nicht bereit ist, die Freiheits- und Bürgerrechte im Zweifelsfall für den Abbau sozialer Ungleichheiten
     zu opfern. Rawls strebt eine ökonomisch effektive Gesellschaft an, die sich aber sozialen Korrekturen unterwerfen muss. Er
     will zeigen, dass Liberalismus nicht zwangsläufig mit einem Laissez-faire-Kapitalismus identisch ist.
    Die Gerechtigkeit bezieht sich nach Rawls auf die Verteilung bestimmter »Grundgüter« in einer Gesellschaft, wozu besonders
     Freiheiten und Rechte als Ausdruck der Selbstachtung des Menschen, aber auch Macht, Einfluss, Einkommen und der Zugang zu
     Positionen und Ämtern gehören. Gerechtigkeit wird damit zu einer Eigenschaft von Institutionen, die solche Grundgüter verteilen.
     Rawls nennt die Gesamtheit dieser Institutionen die »Grundstruktur« einer Gesellschaft.
    Die Gerechtigkeit kann nach Rawls in einer Gesellschaft auf vier verschiedenen Ebenen zum Thema werden: in Gerechtigkeitsgrundsätzen,
     in einer Verfassung, in dem Korpus der Gesetze und in der Anwendung der Gesetze durch die Verwaltung. Für Rawls ist es die
     Aufgabe der Philosophie, sich vor allem mit der ersten Ebene, der Formulierung von Gerechtigkeitsgrundsätzen, zu beschäftigen.
    Diese Formulierung steht entsprechend im Mittelpunkt der
Theorie der Gerechtigkeit.
Darüber hinaus diskutiert Rawls die Folgerungen, die sich für die gesellschaftlichen Institutionen aus diesen Prinzipien |232| ergeben, und schließlich, in einem dritten Teil, den Zusammenhang zwischen den Gerechtigkeitsprinzipien und dem menschlichen
     Streben nach Verwirklichung von Werten und Lebenszielen.
    Um diese Prinzipien zu finden, greift Rawls im ersten Teil auf sein Modell eines »Urzustands« zurück. Er will also die grundlegenden
     Gerechtigkeitsmaßstäbe als Ergebnis einer Vereinbarung darstellen, die zwischen Bürgern unter ganz bestimmten Voraussetzungen
     getroffen werden. Dabei bezieht er sich auf die Theorie des »Gesellschaftsvertrags«, wie sie in der Aufklärung von Philosophen
     wie John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant vertreten worden war.
    Nach dieser Theorie rechtfertigt sich eine staatliche Ordnung durch eine vertragliche Übereinkunft, mit der die Menschen aus
     einem »Naturzustand« in einen staatlich organisierten Zustand eingetreten sind. Ihre dort erworbenen natürlichen Rechte, die
     Locke mit den Begriffen »Freiheit«, »Leben« und »Eigentum« zusammenfasst, sollen durch den Staat geschützt werden. Rawls hat
     gegen den Utilitarismus die Tradition der Vertragstheorie in der Philosophie des 20.   Jahrhundert erneuert. Aus dem »Urzustand«, der nun an die Stelle
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