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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal
Autoren: R Zimmer
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der Grundlage der Gleichheit sich
     über Regeln und Maßstäbe für solche Entscheidungen verständigen. Diese Regeln und Maßstäbe müssen dann von allen akzeptiert
     werden und für alle gelten.
    Rawls hatte begonnen, sich von der reinen Lehre des Utilitarismus zu entfernen. Eine Handlung sollte zunächst nicht auf ihre
     Nützlichkeit hin überprüft werden, sondern darauf, ob sie anerkannten Regeln entspricht. In seinem Aufsatz
Zwei Regelbegriffe
von 1955 versuchte Rawls zu klären, welche Art von Regeln er meinte: solche nämlich, die eine so genannte »soziale Praxis«
     festlegen. Darunter versteht er Verhaltensformen, die in jeder Gesellschaft eingeführt sind und uns zu einem bestimmten Handeln
     in bestimmten Situationen verpflichten. Wenn ich mit jemandem einen Vertrag abschließe, kann ich nicht einfach aus dem Vertrag
     aussteigen, wenn mir Folgen oder Nutzen meines Vertragsabschlusses plötzlich fragwürdig erscheinen. Ich muss mich an die Spielregeln
     halten, nach denen Verträge zu erfüllen sind. Rawls war damit bei einer Art »Regelutilitarismus« angekommen: Das Wohl |229| der Gesellschaft war abhängig von der Befolgung vernünftiger sozialer Regelsysteme.
    Rawls hatte sich nun endgültig dem Problem gerechter sozialer Institutionen und somit den Problemen einer politischen und
     Gesellschaftsphilosophie zugewandt. Die Frage, die ihn hauptsächlich beschäftigte, war: Wie kann die Gerechtigkeit einer Gesellschaft
     definiert werden? Konnte man sie, so wie die Utilitaristen es taten, von dem Gesamtwohl einer Gesellschaft abhängig machen?
    Rawls kam zu dem Schluss, dass die Anhäufung eines möglichst großen gesellschaftlichen Gesamtwohlstands nicht unbedingt mit
     unserem Gerechtigkeitsempfinden harmonieren muss. Nach utilitaristischen Maßstäben ist es zum Beispiel durchaus denkbar, dass
     wenige sehr viel besitzen und viele andere gar nichts oder dass dieses allgemeine Wohl durch die Einführung von Sklavenarbeit
     vermehrt wird. Eine solche Konsequenz wollte Rawls jedoch ausschließen. Gerechtigkeit bedeutete für ihn, dass die Würde des
     einzelnen Bürgers nicht zugunsten eines angeblichen Gemeinwohls geopfert werden darf.
    Rawls vollzog deshalb eine Abkehr vom Utilitarismus, der offenbar weder die unverletzlichen Rechte noch die soziale Absicherung
     eines jeden Bürgers hinreichend begründen konnte. Seine Frage war nun: Wie kann eine »Gerechtigkeit als Fairness« begründet
     werden, die sowohl die Rechte als auch die Bedürfnisse des Einzelnen angemessen berücksichtigt?
    Rawls glaubte, dass er diese Maßstäbe für Fairness aus seinem Modell des Urzustands heraus entwickeln konnte. In seinem Aufsatz
Gerechtigkeit als Fairness
von 1957 fügte er diesem Modell einen entscheidenden Baustein hinzu: Diejenigen, die in einem Urzustand über Prinzipien der
     Gerechtigkeit zu befinden haben, müssen dies unter dem »Schleier des Nichtwissens« (»veil of ignorance«) tun, das heißt, sie
     dürfen nicht wissen, welche Position sie später in einer Gesellschaft einnehmen werden – ob sie zu den Erfolgreichen, Wohlhabenden
     oder eher zu den weniger Begüterten zählen werden.
    Mit diesen Grundideen im Gepäck begann Rawls bereits in den fünfziger Jahren, seine Theorie Schritt für Schritt auszubauen.
     Nachdem |230| er 1962 einen Lehrstuhl an der Harvard-Universität erhalten und sich im nahe gelegenen Lexington angesiedelt hatte, fand er
     endlich die Zeit, seine Gerechtigkeitstheorie in einem großen Manuskript auszuarbeiten. Sein Leben veränderte sich äußerlich
     kaum noch. Rawls führte eine zurückgezogene, öffentlichkeitsscheue Existenz, die sich auf das Schreiben und die Erfüllung
     akademischer Pflichten konzentrierte.
    Für die Entstehung seines Hauptwerks wurden die sechziger Jahre zu dem entscheidenden Jahrzehnt. Das ständig wachsende und
     sich verändernde Manuskript benutzte er immer wieder als Vorlage für Universitätsseminare. Mitten in der turbulenten Zeit
     des Vietnamkrieges, als die Studentenbewegung in den USA und anderen westlichen Ländern einen Höhepunkt erreichte und der
     Marxismus die politischen Diskussionen an den Universitäten bestimmte, nahm die
Theorie der Gerechtigkeit
ihre endgültige Gestalt an.
    Für Rawls geht es in seinem Buch um den grundlegenden Wert einer Gesellschaft. Dass die Gerechtigkeit für das Zusammenleben
     von Menschen genauso fundamental ist wie die Wahrheit für die Erkenntnis der Welt, gehört für ihn zu unseren
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