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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal
Autoren: R Zimmer
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zu einer prägenden Erfahrung. 1943 schickte man ihn als Soldaten an die Pazifikfront,
     nachdem er sein Bachelor-Examen an der renommierten Princeton-Universität gemacht hatte. Als die Amerikaner im August 1945
     eine Atombombe auf Hiroshima abwarfen, bezeichnete er diesen Akt – auch später immer wieder – als großes Unrecht, obwohl er
     die Berechtigung des amerikanischen Kriegseintritts nicht bezweifelte.
    Von 1946 an führte Rawls sein philosophisches Studium an den Universitäten Princeton und Cornell fort und schloss es 1950
     mit einer philosophischen Doktorarbeit ab. Die Ethik stand nun schon im Mittelpunkt seines Interesses. Es war die Zeit, in
     der in den angelsächsischen Ländern die analytische Philosophie ihre Blüte erlebte, eine philosophische Richtung, die großen
     Wert auf den sorgfältigen Umgang mit der Sprache und auf die »Analyse« von philosophischen Begriffen und Argumenten legt.
     Auch Rawls wurde ein Analytiker in dem Sinne, dass er lernte, seine Argumentation mit großer Sorgfalt und Behutsamkeit aufzubauen,
     was beim Leser zuweilen |227| den Eindruck von Umständlichkeit erweckt. Immer wieder betont Rawls, dass Ethik und politische Philosophie ähnlich exakt vorgehen
     müssen wie die empirischen Wissenschaften.
    Doch was die Richtung und den Inhalt seiner Untersuchungen anging, erhielt er von der analytischen Philosophie wenig Impulse.
     Diese hatte Fragen nach der Begründung von Regeln und Werten für müßig erklärt und sich ganz auf die Untersuchung der Bedeutung
     moralischer Begriffe und Wertungen beschränkt. Rawls wollte aber zurück zu den Inhalten. Er wollte klären, welches die moralischen
     Prinzipien sind, die für unser zwischenmenschliches und gesellschaftliches Handeln bestimmend sein sollten.
    Dabei musste er sich vor allem mit der im englischsprachigen Raum einflussreichsten Moraltheorie, dem Utilitarismus, auseinander
     setzen, der im späten 18. und frühen 19.   Jahrhundert von Jeremy Bentham und John Stuart Mill begründet worden war. Der Utilitarismus, dessen Name von dem lateinischen
     Wort »utile« = »nützlich«, hergeleitet ist, betrachtete Normen des Handelns dann als gerechtfertigt, wenn sie sich als nützlich
     erwiesen, das heißt dem allgemeinen Wohl dienten. Der Utilitarismus richtete sein Augenmerk immer auf die Folgen einer Handlung.
     Entscheidend waren dabei die Folgen für die Gesamtgesellschaft, nicht für den einzelnen Bürger. Berühmt geworden ist der Satz
     Jeremy Benthams, wonach das Ziel und der Maßstab moralischen Handelns das »größte Glück der größtmöglichen Anzahl von Menschen«
     sei.
    Rawls stand zunächst selbst dem Utilitarismus nahe. Seine eigene Theorie entstand in mehreren einzelnen Etappen und während
     eines Zeitraums von insgesamt zwanzig Jahren, in denen er von einer Erweiterung des Utilitarismus bis zu dessen Kritik fortschritt.
     In dieser Zeit erschienen lediglich einige wenige Aufsätze von ihm, die allerdings immer wieder eine Weiterentwicklung seines
     Denkens markierten. Zunächst beeinflusste ihn besonders Henry Sidgwick, neben Bentham und Mill der dritte Klassiker des Utilitarismus,
     der in seinen
Methoden der Ethik
gefordert hatte, moralische Prinzipien aus dem Common Sense, dem gesunden Menschenverstand, abzuleiten und nicht nur auf die
     Menge des allgemeinen |228| Wohls, sondern auch auf dessen gerechte und faire Verteilung zu achten.
    Rawls übernahm diese Forderungen. Auch er ging zunächst von normalen moralischen Alltagssituationen und von unserem normalen
     moralischen Empfinden aus. Dabei beschäftigte er sich von Anfang an mit der Frage, wie wir mit moralischen Problemen umgehen,
     das heißt mit Hilfe welcher Maßstäbe wir entscheiden können, ob bestimmte Handlungen für die Gesellschaft gut oder nicht gut
     sind. In einem frühen Aufsatz schlägt er vor, das jeweilige moralische Problem durch »kompetente Moralbeurteiler« mit Hilfe
     von »wohl durchdachten moralischen Urteilen« klären zu lassen.
    In einem für sein Denken äußerst fruchtbaren Jahr, das er von 1952 bis 1953 im englischen Oxford verbrachte, entwickelte er
     die Idee einer Modellsituation, einer vorgestellten Position, in die man sich als Moralbeurteiler hineindenken müsse. Er nannte
     sie »original position«, also »ursprüngliche Position«, was im Deutschen mit »Urzustand« übersetzt wurde. Menschen, die moralische
     Entscheidungen zu treffen haben, sollen sich in eine Position hineindenken, in der sie auf
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