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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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exponentiell anwuchs und wir alle Seitenwaffen bekamen, um im Notfall deutsche Fallschirmjäger zurückzuschlagen, die auf dem Dach vom Caxton House niedergehen mochten, während der berauschenden Monate nach der Invasion in die Normandie, als die roten Pfeile auf der riesigen Kriegskarte das Vorrücken unserer Armeen auf Berlin anzeigten, und in jenen letzten Tagen, als Blut, Schweiß und Tränen vom Überschwang des Glockengeläuts in jedem Viertel und jeder Grafschaft abgelöst wurden.
    Colonel Menzies kratzige Stimme riss mich aus meinen Erinnerungen. »Miss Sinclair«, knurrte er und hielt sein engelsgleiches Gesicht in die Türöffnung meiner Arbeitszelle. »Heute Nachmittag brauche ich Ihre Dienste. Der Bursche, den Ihr Vater den Haddsch genannt hat, kommt gegen vier Uhr vorbei.«
    Mein institutionelles Gedächtnis zeigte sich der Situation gewachsen. »Sie meinen den Arabisten St John Philby.«
    »Genau den. Hoffen wir, er hat sich die Läuse aus dem Bart gekämmt, was? Könnten Sie das Protokoll der Besprechung heraussuchen, die wir 1934 mit ihm hatten, damit ich mein Gedächtnis auffrischen kann?«
    Ich brauchte nicht lange, um das Protokoll in meinem stählernen Aktenschrank zu finden, den die Sicherheitsleute unbedingt in meiner Zelle hatten aufstellen wollen. Ich brachte es gleich hinauf in den Salon des Colonels, dessen Ausstattung sich seit Vaters Tagen verändert hatte. Der dicke Vorhang, den der Admiral so gemocht hatte, war durch Jalousetten ersetzt worden, obgleich auch diese Tag und Nacht geschlossen blieben; statt der Generäle Wellingtons lehnte jetzt eine bunte Mischung von Königen und Königinnen lauschend an den Wänden, und eine große elektrische Wanduhr zählte lautstark tickend die Sekunden, dort, wo einst Vaters nautischer Chronometer sanft die Wachzeiten verkündet hatte. »Ich denke, Sie meinen das hier«, sagte ich und gab dem Colonel das fragliche maschinengeschriebene Protokoll.
    Er las es quer. »Da scheint zum Ende hin etwas zu fehlen«, verkündete er. Ich gab ihm mein mitstenografiertes Original, auf dem eine halbe Seite geschwärzt war.
    »Wer hat das gemacht?«, fragte er.
    »Vater.«
    »Warum?«
    »Ich weiß es nicht genau. Ich nehme an, er wollte keine schriftlichen Spuren hinterlassen.«
    Colonel Menzies griff zum Telefon. »Mrs Mortimer, bitten Sie doch Captain Knox unten im Labor, seine Arbeit zu unterbrechen und zu uns heraufzukommen.«
    Augenblicke später klopfte es an der Tür. »Herein«, rief Colonel Menzies.
    »Sir?«
    »Was halten Sie davon, Knox?«, fragte Colonel Menzies und hielt ihm mein stenografiertes Protokoll hin.
    »Warum? Das ist mit einem breiten Stift geschwärzt worden, oder?«
    »Das sehe ich auch, Mann. Sind Sie fähig, das, was da versteckt ist, hervorzuholen?«
    »Ich denke schon.«
    »Wie machen Sie das?«
    »Ich werde wohl das Papier vor ein helles Licht halten und es fotografieren. Dann bearbeite ich das Geschriebene im Negativ, um es mit jedem neuen Abzug etwas besser herauszubringen.«
    »Wie lange wird das dauern?«
    »Wenn Sie vom Mittagessen zurückkommen, sollte ich so weit sein, dass Miss Sinclair es abtippen kann.«
    »Mal nebenbei gefragt, welche Sicherheitsstufe haben Sie, Knox?«
    »Ich darf alles lesen, was auch der Premierminister lesen darf, Sir.«
    »Ich bin nicht sicher, ob das hierfür reicht.«
    »Verstehe, Colonel. Ich werde keinerlei Versuch unternehmen, die Kurzschrift unter dem Geschwärzten zu entziffern.«
    »Guter Mann, Knox.«
    Knox hielt Wort. Hier ist der letzte Teil des Protokolls. Ich habe die halbe von Vater ausgestrichene Seite kursiv gesetzt:
    Der Haddsch: »Die Zukunft ist für all die erkennbar, die keine Angst davor haben, in die Kristallkugel zu schauen«, sagte der Haddsch. »Europa steuert auf einen weiteren großen Krieg zu, und Russland wird durch seine unerschöpflichen menschlichen Ressourcen und Stalins ruchlosen Hunger nach Unterwerfung als beherrschende Kraft daraus hervorgehen. Die Sowjets sind darauf aus, verlorenes Land zurückzugewinnen, und werden die alten zaristischen Begehrlichkeiten hinter kommunistischer Ideologie verstecken. An den unwahrscheinlichsten Orten werden revolutionäre Bewegungen entstehen, finanziert und ermutigt von den Sowjets und ihnen am Ende auch treu ergeben. Das Empire steht auf dem Spiel. Indien wird zuerst herausbrechen.«
    Colonel Menzies: »Was sollten wir denn Ihrer Meinung nach unternehmen, St John, was wir nicht sowieso schon tun?«
    Colonel Vivian: »Dürfen
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