Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Phantasie und Wirklichkeit

Phantasie und Wirklichkeit

Titel: Phantasie und Wirklichkeit
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
zu
melden!»
    «Sie brauchen sich aber keine Sorgen zu
machen, Sir. Mitgenommen wurde nichts. Wir haben sie nämlich gestellt. Es war
ein Pärchen.»
    «Sie haben was—?»
     
    «Also, da hat uns dieser Typ angerufen
und gesagt, daß jemand in Ihrer Wohnung ist, aber als unsere Jungs hinkamen,
waren die schon wieder weg. Weil der Typ sich aber die Autonummer notiert hatte
— es war ein weißer Miet-Lieferwagen-, konnten wir sie draußen auf der A 40 bei
Wheatley stoppen. Aber die hatten bloß ein paar alte Tische hinten drin. Ich
kann mir nicht vorstellen, daß sie irgend etwas von Ihnen mitgenommen haben
können, Sir. Schätze mal, die haben von unserem Kommen Wind gekriegt.»
    «Und dieser Typ — wer war das?»
    «Ein Dr. Ullman, Sir. Wohnt ganz bei
Ihnen in der Nähe, sagte er jedenfalls.»
     
    Als Morse den Hörer auflegte, schüttelte
er von neuem den Kopf. Jetzt war alles — oder zumindest fast alles — klar. Sie
mußten beide, Ullman und er, an jenem Mittag im King’s Arms auf dieselbe
Idee gekommen sein. Dieselbe seltsame Idee, daß Brief und Opernkarte keineswegs
ein Zeichen von Höflichkeit und Dank waren, sondern nichts als Stufen auf der
Leiter einer sehr subtilen Täuschungsstrategie.
    Genau.
    Und Morse hatte eine Stufe
weitergedacht.
    Und Ullman hatte zwei Stufen
weitergedacht.
    Morse sperrte seine Haustür sehr
sorgfältig ab, bevor er sich auf den Weg machte.
     
    «Wie wär’s mit einem kleinen Bierchen,
Herr Hauptkommissar?»
    «Ausgezeichnet!»
    «Ich habe Sie eigentlich heute noch
nicht erwartet.»
    «Haben Sie jemals mit dem Gedanken
gespielt, für die Polizei zu arbeiten, Doktor?»
    «Dazu bin ich leider nicht groß genug.»
    «Sie waren mir immer einen Zug voraus.»
    «Tja, — aber um ehrlich zu sein, ich
hatte auch einen kleinen Vorteil Ihnen gegenüber. Ich habe nämlich bei mir im
Vorgarten ein Zaunkönigpärchen, das gerade sein Nest baut, und als ich mir dies
letztens durch meinen Feldstecher näher ansehen wollte, fiel mir draußen an der
Bushaltestelle eine Frau auf, die ihrerseits selbst auch etwas betrachtete, und
zwar mein Haus und die Einfahrt und die Garage... Zwei Tage darauf war sie
wieder da, und dieses Mal habe ich sie mir mit dem Fernglas sehr genau
angesehen, und da sah ich, daß sie etwas in ein rotes Notizbuch notierte. Sie
schrieb mit der linken Hand, und am Nagel ihres Mittelfingers hatte sie eine
Art weißen Kratzer, als wenn sie ihn sich in einer Tür geklemmt hätte. Und dann
sah ich sie noch einmal, nicht wahr...?»
    Ullman lächelte, wobei seine
Gesichtszüge einen Moment lang einen fast unheimlichen Ausdruck annahmen.
    «Und Sie waren sich völlig sicher, daß
ich es sein würde, bei dem heute abend eingebrochen werden sollte», sagte Morse
langsam.
    «Es kam mir logisch vor. Jedenfalls,
wenn Sie doch mein Haus bewachten, konnten Sie nicht gleichzeitig auch Ihres
bewachen, oder?»
    «Sie haben ziemlich was riskiert.»
    «Wirklich?» Der kleine Mann schien erstaunt
zu sein.
    «Na ja, wenn man bei Ihnen eingebrochen
hätte, während Sie bei mir in der Nähe waren und aufpaßten...»
    «Nein, nein. Ich riskiere jetzt nichts
mehr. Ich habe mir einen Privatdetektiv genommen, damit jemand da war, der die
Dinge hier im Auge behielt. Es soll weit und breit keinen besseren geben,
Schwarzer Gürtel im Judo und weiß der Himmel was sonst noch.»
    «Er muß wirklich gut sein — uns ist er
jedenfalls nicht aufgefallen.»
    «Sie, Herr Hauptkommissar,... sie ist Ihnen nicht
aufgefallen. Sie meinte, sie wollte eventuell ihre
Anzeigenblatt-Verteiler-Nummer durchziehen...»
    «Verdammt noch mal», murmelte Morse.
    «...und ich habe ihr gesagt, sobald ich
die Polizei angerufen hätte, könnte sie für heute damit aufhören — das war
kurz, bevor ich hierher zurückkam, so gegen neun Uhr.»
    «Zehn nach neun, um genau zu sein — es
war zehn nach neun, als wir Sie hier reingehen gesehen haben.»
    Ullman hüstelte bescheiden und leerte
sein Bierglas. «Wenn wir wirklich genau sein wollten, Herr Hauptkommissar, wäre
dann nicht richtiger zu sagen, wann wir Sie gesehen haben?»
    Nun schüttelte Morse zum letztenmal an
diesem Tag den Kopf. Dann trank auch er sein Bier aus, verabschiedete sich und
wanderte langsam die dreihundert Yards zu seinem Haus zurück.

COLIN DEXTER
     
    Finstere Gründe
    rororo 3100
     
    Hüte dich vor Maskeraden
    rororo 3239
     
    Ihr Fall, Inspector Morse
    Stories, rororo 3148
     
    Die Leiche am Fluß
    rororo 3189
     
    Der letzte Bus nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher