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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss
Autoren: Christine Lehmann
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Gemeinderäte, Bauern, Züch ter, Abgesandte des Haupt- und Landesgestüts Marbach. Vor dem Wirtschaftshaus hatte der Geländewagen Halt gemacht. Ihm entstieg ein Mann im Poloshirt, den Siglinde als Herrn Epple begrüßte. »Fahren Sie über die Brücke zu den Zuchtställen. Hajo erwartet Sie da.«
    Epple versicherte Siglinde, bevor er ins Auto kletterte, dass die Stute blitze und dass der Test mit seinem Island-Hengst daheim ergeben habe, dass sie gewiss in der Hochrosse sei. Siglinde kicherte sich ab, als er nicht weniger paarungsbereit als seine Fracht über die Brücke fuhr. Wir gingen zu Fuß hinterher.
    »Hajo kennst du noch nicht«, erklärte Siglinde. »Als der alte Max in Pension ging, hab ich ihn zum Hauptbereiter und Zuchtwart gemacht. Ihm verdanken wir Palas, unseren Hauptbeschäler. Er hat ihn entdeckt. Palas steht in der Linie von Gazal.«
    »Oh!«
    Man musste nicht viel über Araberzucht wissen, um den Namen des legendären Schimmelhengstes Gazal zu kennen, Sohn von Gazal VII aus dem ungarischen Staatsgestüt Bábolna, das mit den Hauptbeschälern Ku haylan Zaid, Shagya und O’Bajan die Zucht großrahmiger Araber begründete.
    »Seit wir Palas haben«, sagte Siglinde, »sind wir auf dem besten Wege, die größte Shagyazucht in Europa aufzubauen. Hajo wollte auch Rennpferde züchten, aber den Hengst dazu hat ihm kürzlich jemand vergiftet.«
    »Was?«
    »Er ist auf der Koppel krepiert. Ein hässliches Vieh. Aber Palas wird dir gefallen.«
    Sie dirigierte mich, fast mehr besorgt um mein teures Schuhwerk als ich, um eine fäkal schimmernde Pfütze herum zu einem Stallgebäude, das etwas zurückgesetzt lag, während der Züchter mit seiner hochrossigen Stute noch hundert Meter weiterfuhr und von einem Stallangestellten gestoppt wurde. Ein Belgischer Schäferhund an einer Kette bewachte den Stall, der mit einer Schließanlage versehen war. Die Schiebetür stand jetzt offen. Zwei schneeweiße alte Stuten und eine hochträchtige Jungstute standen in drei Boxen. Über die Tür der vierten lauschte uns ein weißer Hechtkopf mit grauen Nüstern und gespitzten Gazellenohren entgegen.
    »Sieht er nicht aus wie Gazal?«, fragte Siglinde mit mehr Wärme in den Worten als in der Stimme. »Schau dir die Beine an, staubtrocken.«
    Drei trockene Dinge soll ein Araber besitzen, den Kopf, die Beine und die Gelenke, drei lange Dinge, die Hinterbeine, die Ohren und den Hals, drei kurze Dinge, den Knorpelansatz des Schweifs, den Rücken und die Vorderbeine, und drei breite Dinge, die Brust, die Stirn und das Hinterteil. Das Ohr soll dem einer aufgestörten Antilope gleichen, und die Nüstern sollen weit sein mit roten Höhlungen. Ein solches Pferd war Palas. Er stand so hoch im Blut, dass die menschliche Seele seufzte in ihrer Erbärmlichkeit.
    Palas blähte die Nüstern. Noch hatte er keine Witterung von der rossigen Stute, aber ein Shagyahengst ist in jeder Minute ein Ereignis. Dem Bann eines solchen Bündels aus Muskeln, Nerven, Blut und Leben kann sich niemand entziehen. Schönheit, man ahnte es schon immer, ist Kraft.
    »Fünfzehn Fohlen von ihm laufen dieses Jahr in der Herde mit«, sagte Siglinde. »Letztes Jahr waren es dreizehn. Drei seiner Hengstfohlen wurden gekört und haben uns bei der letzten Herbstauktion allein eine halbe Milli on gebracht.«
    Während Siglinde schön wurde, stolz und rassig vor diesem Hengst, rupfte mir die hochtragende Schimmelstute aus der Nachbarbox den Knopf vom Ärmel meiner Kostümjacke. Hamsun ox stand auf dem Schild an der Boxentür.
    Gleichzeitig kam ein Mann in den Stall, ein leichtgebauter sehniger Bursche in speckigen Reithosen, abgewetzten Stiefeln und verschwitztem T-Shirt, Arme und Gesicht von der Sonne verbrannt, die Haare von der Far be alten Heus und die Augen geschliffen wie Aquamarine.
    »Ah, Hajo«, sagte Siglinde.
    Er musterte mich von den Fesseln aufwärts bis zum Brustbein und streckte dabei die Hand unter Hamsuns Maul. Um den Mund hatte er so einen gemeinen Zug von Männern, die sich gegen die geistige Überlegenheit der Frauen dadurch zur Wehr setzen, dass sie sie mit dem Blick bis auf Brustwarzen und Schamhaar ausziehen. Hamsun spuckte ihm meinen Knopf in die Hand.
    »Das gehört wohl Ihnen. Sie halten besser Abstand. Pferde sind keine Kuscheltiere.«
    Ich hasse Männer mit blauen Augen, die mir eingesabberte Knöpfe in die Hand gleiten lassen und grinsen, weil sie wissen, dass ich im Kostüm meinem Impuls nicht nachgeben kann, ihnen unter der Hand das Knie in die
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