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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Autoren: Amei Müller
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sich der Tag gestalten, meine Liebe?« wandte er sich an Mutti.
    »Ach Gott, Wilhelm, woher soll ich das wissen.«
    Stille.
    »Kinder, wollen wir nicht einen Choral singen, es ist ein so herrlicher Morgen. Hört ihr die Vögel?« Ja doch, wir hörten sie. Es war uns jeden Morgen ein neues Ärgernis, daß sie keine Rücksicht auf uns nahmen.
    »Auf meinem Bauernhof in Pommern bin ich jeden Morgen um vier Uhr früh aufgestanden. Na, was sagt ihr dazu?«
    Wir sagten gar nichts und löffelten mißmutig unseren angebrannten Haferbrei. Auch Else, die sonst so wundervoll kochte, war am Morgen noch zu keinen großen Taten fähig.
    »Ja, dann will ich euch mal auf Trab bringen« — Onkel Wilhelm stellte seine Tasse klirrend nieder, ein Geräusch, das uns zusammenschrecken ließ. »Was für ein Lied wollen wir singen?«
    »Müde bin ich, geh zur Ruh«, sagte Christoph. »Wilhelm, ich habe heute schlecht geschlafen, könnten wir vielleicht mittags singen?« Mutti griff sich stöhnend an den Kopf.
    Nach langen schweren Wochen gewöhnte er sich an diese seltsame Krankheit der Familie. Stumm saß er in der schweigenden Frühstücksrunde, nur ab und zu bekam er einen Rückfall.
    »Auf meinem Bauernhof in Pommern...« hub er an, und nach einem Blick auf unsere gequälten Gesichter, fuhr er fort: »Verzeihung. Ich erzähl’s heut abend«. Abends aber war er müde und brachte vor lauter Gähnen den Mund nicht mehr zu. Ein Zustand, der uns unverständlich war, denn abends wurden wir munter.
    Auch Manfred war von Onkel Wilhelms Art. Ich merkte es schon nach kurzer Bekanntschaft und versuchte meine morgendlichen Krankheitssymptome tunlichst zu verbergen. Jetzt nickte er mir liebevoll zu und schien allen Ernstes zu glauben, daß die Behauptungen seines Vaters stimmten. Wie ahnungslos glücklich er war! Mir blutete das Herz. Er meinte, eine ihm wohlbekannte Frau geheiratet zu haben und wußte nicht, daß ein völlig fremdes Wesen neben ihm saß.
    »Sie sehen so aus, als ob Sie wundervoll tanzen könnten«, hatte er in Göttingen zu mir gesagt, als wir uns das erste Mal trafen. Ich lächelte geschmeichelt und beschämt. Das verstand er wohl als Zustimmung, denn er lud mich sofort zu einem Tanzfest ein. Nun sah ich vielleicht so aus, als ob ich tanzen könne, aber der Schein trog. Ich war ein rechtes Trampeltier und hatte nie eine Tanzstunde besuchen dürfen. Wenn meine Schulkameradinnen von ihrer Tanzstunde schwärmten und die neuesten Rock ‘n’ Roll-Figuren vorführten, lachte ich verächtlich und steckte die Nase ins Lateinbuch. Ich beneidete sie glühend und schwor, bei der nächsten Caesarübersetzung eine Show abzuziehen, bei der sie vor Neid erblassen sollten.
    Nur einmal war ich mit meiner Freundin beim Tanzen gewesen und dieses Erlebnis hatte mich für lange Zeit von aller Tanzlust geheilt. Jeder, der mich aufgefordert hatte, war nach dem ersten Tanz aufseufzend geflohen und hatte sich nie mehr in meine Nähe getraut. So welkte ich als Mauerblümchen dahin, bis sich ein schmächtiger Jüngling zu mir gesellte, auch er des Tanzens unkundig. Wir führten ein Gespräch über große deutsche Denker. Die Musik dröhnte, die Tänzer stampften, wir schrien uns unsere Erkenntnisse in die Ohren, bis wir heiser waren. Dann verließen wir den Saal, um im stillen Park noch weitere Betrachtungen zu pflegen. Auch meine Freundin erging sich mit ihrem Partner im Park. Sie schienen allerdings eher mit sich selber als mit großen Denkern beschäftigt. Stolz schritten wir an ihnen vorüber. Da rief sie mir hinterher: »He du, Amei, paß auf, daß er dir nicht in den Briefkasten fällt!« Das war ein harter Schlag, für ihn und für mich, und wir fanden auf dem Heimweg nur schwer zu den deutschen Denkern zurück. —
    Mit dem Theologiestudenten in Göttingen aber wollte ich unbedingt tanzen, und diesmal galt es, Enttäuschungen zu vermeiden. Ich machte mir keine Hoffnungen, daß ich in drei Tagen das Tanzen erlernen könne. Also mußte ich mir etwas einfallen lassen, und ich hatte eine großartige Idee. Ich umwickelte meinen linken Fuß dick und kunstvoll mit mehreren Verbänden, eilte zum Treffpunkt, vergaß aber nicht, kurz vor Sichtweite in schmerzvolles Hinken zu verfallen. Er eilte mir entgegen, stützte mich, war voller Mitleid und Erbarmen.
    »Ach, Sie Arme!« rief er, »tut es sehr weh?« Ich nickte mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Wie ist es denn passiert? Sind Sie ausgerutscht? Was sagte der Arzt dazu?«
    »Es ist nur eine kleine
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