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Peter Pan

Peter Pan

Titel: Peter Pan
Autoren: James M. Barrie
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die Flasche nie mehr in der Schnauze tragen, Nana, und alles ist meine Schuld.«
    Obwohl er doch der starke Mann in der Familie war, hat er sich zweifellos albern angestellt mit der Medizin.
    Wenn er eine Schwäche hatte, dann die, daß er glaubte, er hätte sein Leben lang immer tapfer seine Medizin genommen. Darum hatte er, als Michael vor Nanas Löffel davonlief, vorwurfsvoll gesagt: »Michael, sei ein Mann!«
    »Will nicht, will nicht!« schrie Michael ungezogen.
    Mrs. Darling verließ das Zimmer, um ein Stück Schokolade für ihn zu holen.
    »Mutter, verwöhne ihn nicht«, rief er ihr hinterher.
    »Als ich in deinem Alter war, mein Sohn, habe ich jede Medizin ohne Murren genommen. Ich sagte: ›Danke, liebe Eltern, daß ihr mir die Medizin gebt, damit ich gesund werde.‹«
    Er glaubte wirklich, daß das stimmte, und Wendy, die jetzt ihr Nachthemd angezogen hatte, glaubte das auch, und sie wollte Michael ermutigen: »Die Medizin, die du manchmal nimmst, Papa, die schmeckt doch noch viel scheußlicher, nicht?«
    »Viel, viel scheußlicher«, sagte Mr. Darling kühn, »und ich würde sie augenblicklich nehmen, um dir ein Beispiel zu geben, mein Sohn, wenn die Flasche nicht verschwunden wäre.«
    Sie war nicht eigentlich verschwunden. Er war mitten in der Nacht auf den Kleiderschrank geklettert und hatte sie dort versteckt. Er wußte bloß nicht, daß die treue Liza sie gefunden und wieder auf den Waschtisch gestellt hatte.
    »Ich weiß, wo sie ist«, rief Wendy, die immer froh war, wenn sie sich nützlich machen konnte. »Ich hole sie!« Schon war sie weg und nicht mehr aufzuhalten.
    Merkwürdig, wie Mr. Darlings Mut auf einmal sank.
    »John«, sagte er und schüttelte sich, »es ist ein wider-liches Zeug. So scheußlich klebrig und süß.«
    »Es ist ja bald vorbei, Papa«, sagte John fröhlich, und dann kam Wendy hereingerauscht mit einem Glas voll Medizin.
    »Schneller ging es nicht«, keuchte sie.

    »Es ging fabelhaft schnell, fabelhaft!« sagte Mr. Darling mit spitzer Ironie, die bei Wendy ganz unan-gebracht war.
    »Michael zuerst«, sagte er störrisch.
    »Papa zuerst«, sagte Michael, der ein mißtrauischer Junge war.
    »Gleich werde ich krank, ihr werdet ja sehen«, drohte Mr. Darling.
    »Mach schon, Papa«, sagte John.
    »Halt den Mund, John«, sagte der Vater.
    Wendy war ganz durcheinander. »Ich dachte, dir macht das nichts aus.«
    »Das ist nicht der Punkt«, sagte Mr. Darling. »Der Punkt ist, daß in meinem Glas mehr ist als auf Michaels Löffel, und das ist ungerecht. Bis zum letzten Atemzug werde ich erklären: Das ist ungerecht.«
    »Papa, ich warte«, sagte Michael eiskalt.
    »Das ist schön und gut, daß du wartest, also – ich warte.«
    »Papa ist ein erbärmlicher Feigling.«
    »Du bist ein erbärmlicher Feigling.«
    »Ich habe keine Angst.«
    »Ich habe auch keine Angst.«
    »Na, dann nimm sie.«
    »Na, dann nimm du sie.«
    Wendy hatte eine glänzende Idee: »Warum nehmt ihr sie nicht gleichzeitig?«
    »Gut«, sagte Mr. Darling. »Bist du bereit, Michael?«
    Wendy gab das Kommando, eins, zwei, drei, und Michael nahm seine Medizin, doch Mr. Darling versteckte seine hinter dem Rücken.
    Michael schrie vor Wut.
    »Aber Papa!« rief Wendy.
    »Was heißt hier ›Aber Papa‹«, sagte Mr. Darling. »Hör auf mit dem Getue, Michael. Ich wollte sie nehmen, aber ich – ich habe sie irgendwie verpaßt.«
    Es war grauenvoll, wie alle drei ihn anschauten, bei- nahe so, als würden sie ihn nicht bewundern. »Seht mal, seht mal alle her«, sagte er flehend, als Nana ins Bad gegangen war, »ich habe mir einen prima Witz ausgedacht. Ich gieße meine Medizin in Nanas Napf, und sie trinkt die Medizin und denkt, es ist Milch.«
    Die Medizin war weiß. Aber die Kinder fanden ihren Vater gar nicht komisch und sahen ihn vorwurfsvoll an, als er die Medizin in Nanas Napf schüttete. »Ist doch bloß Spaß«, sagte er, und sie wagten nicht, ihn zu verraten, als Mrs. Darling mit Nana zurückkam.
    »Nana, guter Hund«, sagte er und gab ihr einen Klaps, »ich habe ein bißchen Milch in deinen Napf getan.«
    Nana wedelte mit dem Schwanz, lief zum Napf und begann zu schlürfen. Dann schaute sie Mr. Darling an – ohne Zorn: Sie zeigte ihm die große rote Träne, die soviel Mitgefühl erregt bei edlen Hunden – und kroch in ihre Hütte.
    Mr. Darling schämte sich fürchterlich, aber er wollte sich nicht geschlagen geben. Tödliche Stille. Mrs. Darling roch am Napf. »O George«, sagte sie, »das ist ja deine
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