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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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Monat 9.400 Kronen Pension bezieht. Ganz unten in dem Haufen liegt ein Bündel Briefe. Ich habe es nie über mich bringen können, Briefe anderer Leute zu lesen. Die private Post überspringe ich also. Ganz unten liegen die offiziellen, maschinenschriftlichen Bescheide. Ich will sie schon zurücklegen, da sehe ich ihn.
    Einen sonderbaren Brief. › Hiermit teilen wir Ihnen mit, daß der Aufsichtsrat der Kryolithgesellschaft Dänemark auf seiner letzten Sitzung beschlossen hat, Ihnen als Witwe von Norsaq Christiansen eine Witwenpension zuzuerkennen. Sie erhalten eine Pension von monatlich 9.000 Kronen, die an den Index der Lebenshaltungskosten angeglichen wird. ‹ Unterzeichnet ist der Brief im Namen des Aufsichtsrats mit ›E. Lübing, Leiterin der Buchhaltung‹.
    Daran ist erst mal nichts Seltsames. Aber als der Brief fertig war, hat ihn jemand um neunzig Grad gedreht. Und mit Füller schräg an den Rand geschrieben: ›Es tut mir so leid. Elsa Lübing‹.
    Aus den Randnotizen kann man etwas über seine Mitmenschen erfahren. Über Fermats verschwundenen Beweis wurde viel nachgegrübelt. In einem Buch, in dem es um die nie bewiesene Behauptung ging, daß man eine Quadratzahl oft in der Summe von zwei anderen Quadratzahlen auflösen könne, daß dies jedoch bei ganzzahligen Exponenten, die größer als zwei sind, nicht möglich sei, hatte Fermat am Rand hinzugefügt: ›Für diesen Satz habe ich einen wirklich wunderbaren Beweis gefunden. Leider ist der Rand zu schmal dafür.‹
    Vor zwei Jahren hat im Büro der Kryolithgesellschaft Dänemark eine Dame gesessen und einen äußerst korrekten Brief diktiert. Er hält alle Formalitäten ein, enthält keine Tippfehler und ist überhaupt, wie es sich gehört. Danach hat man ihn ihr zum Durchlesen gegeben, sie hat ihn gelesen und unterschrieben. Dann hat sie einen Augenblick dagesessen. Und dann das Papier gedreht und geschrieben: ›Es tut mir so leid.‹
    »Wie ist er gestorben?«
    »Norsaq? Er war bei einer Expedition an die Westküste dabei. Es war ein Unfall.«
    »Was für ein Unfall?«
    »Er hat etwas gegessen, was er nicht vertragen hat. Glaube ich.«
    Sie sieht mich hilflos an. Die Menschen sterben eben. Man kommt nicht weiter, wenn man darüber nachgrübelt, wie oder weshalb.
     
    »Für uns ist der Fall abgeschlossen.«
    Ich habe den Nagel am Telefon. Ich habe Juliane ihren Gedanken überlassen, die sich jetzt wie Plankton in einem Meer aus süßem Wein bewegen. Vielleicht hätte ich bei ihr bleiben sollen. Aber ich bin keine Seelsorgerin. Ich kann ja kaum für mich selbst sorgen. Außerdem habe ich meine eigenen Zwangsvorstellungen, die mich das Polizeipräsidium haben anrufen lassen. Ich werde mit Abteilung A verbunden. Die mir erzählt, daß der Kriminalkommissar noch im Büro ist. Nach seiner Stimme zu urteilen, ist er das bereits viel zu lange.
    »Der Totenschein ist heute nachmittag um vier unterschrieben worden.«
    »Und die Spuren?« frage ich.
    »Wenn Sie gesehen hätten, was ich gesehen habe, oder wenn Sie selber Kinder hätten, dann wüßten Sie, daß sie vollkommen unzurechnungsfähig und unberechenbar sind.«
    Bei dem Gedanken an die Sorgen, die ihm seine Gören gemacht haben, geht seine Stimme in ein Knurren über.
    »Hier geht es natürlich auch bloß um einen Scheißgrönländer«, sage ich.
    Am anderen Ende wird es still. Der Kommissar ist ein Mann, der auch nach einem langen Arbeitstag noch genug Reserven hat, um den Thermostat auf schnelles Einfrieren stellen zu können.
    »Nun will ich Ihnen verdammt noch mal was sagen. Wir machen keinen Unterschied, verstehen Sie? Ob da ein Pygmäe heruntergefallen ist oder ein siebenfacher Mörder oder ein Sittlichkeitsverbrecher, wir ziehen die Sache durch. Verstehen Sie? Ich habe mir den Bericht der Gerichtsmediziner geholt. Nichts spricht dafür, daß das hier kein Unglücksfall war. Ein tragischer, ja, aber einer von denen, wie wir sie hundertfünfundsiebzigmal im Jahr haben.«
    »Ich werde mich beschweren.«
    »Tun Sie das.«
    Dann legt er auf. Ich habe natürlich nicht vor, mich zu beschweren. Aber ich habe schließlich auch einen harten Tag hinter mir. Ich weiß ja, daß die Polizei viel zu tun hat. Ich verstehe ihn schon. Alles, was er gesagt hat, habe ich sehr gut verstanden.
    Bis auf eins. Als ich vernommen wurde, vorgestern, habe ich auf einige Fragen geantwortet und auf einige nicht. Eine davon war die nach dem › Personenstand‹.
    »Das geht Sie einen Dreck an«, habe ich zu dem Polizisten
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