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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
Autoren: Heike Koschyk
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sie.
    Margarete hielt das kleine abgerissene Blatt ins Licht der schmalen Fensteröffnung, die zum Kreuzgang hinauswies. Sie erkannte Wolken in mehreren Farbschichten und ein loderndes Feuer, dessen Gold auf rotem Ocker gefertigt war.
    Ein Gefühl der Gefahr schnürte Margarete plötzlich den Hals zu. Ehe sie überlegen konnte, was sie tat, ließ sie das Stück Pergament in der Tasche ihres Wollhabits verschwinden. Dann faltete sie Adalberts Hände über dem Bauch und eilte die Wendeltreppe hinunter, um Priorin Agnes von dem Toten zu berichten.

1. TEIL
    Doch in der Luft entsteht ein Wind, der sich mit seinen Stürmen überallhin ausbreitet. Auch von der satanischen Wut, die Gott kennt und fürchtet, geht mit bösen Worten übelste Verleumdung aus, die sich nach allen Seiten verteilt.

1
    E lysa von Bergheim reckte sich über die schmale Brüstung des Prahms. Ein eisiger Wind streifte ihre Wangen. Für einen Moment glaubte sie, durch den dunstigen Nebel bereits die Umrisse des Kloster Eibingen zu erkennen, doch im nächsten Augenblick verschlossen dichte Schwaden den Blick.
    Plötzlich begann das Boot zu schlingern, geistesgegenwärtig klammerte sie sich an die Seitenplanke. Die Pferde schnaubten unruhig und tänzelten auf der Stelle, so dass das Boot nun zu schwanken begann. Ein Blick auf den Schiffer, der am Bug stand und das Boot ruhig mit der Stakstange vorwärts trieb, zeigte ihr jedoch, dass keine unmittelbare Gefahr bestand.
    »Was war das?«, rief sie dem Kanonikus entgegen, der seit ihrer Abfahrt in Mainz nahezu unbewegt in der Mitte des Bootes saß.
    »Die Strömung der Rheinenge bei Bingen.«
    »Aber wir sind doch noch nicht einmal bei Rüdesheim.«
    Hastig tastete Elysa sich zur Schiffsmitte zurück und setzte sich neben Clemens von Hagen, Kanonikus vom St.-Stephans-Stift zu Mainz, einen großen, breitschultrigen Mann mit ausgeprägtem Kinn und wachen Augen, der alleine durch seine Statur allerorts Respekt einflößte, was sich noch verstärkte, wenn er seine tiefe, volltönende Stimme erhob. Ein idealer Begleiter für eine alleinreisende Adelige.
    Der Wind nahm an Stärke zu, stob gegen den von der schwerenLadung erhobenen Bug des Bootes, das nun wieder zu schlingern begann. Elysa wurde übel.
    Sie hätten einen Pferdewagen nehmen sollen, es wäre schneller gewesen und angesichts der unberechenbaren Strömung wahrscheinlich auch sicherer, aber der Kanonikus hatte auf der Rheinfahrt bestanden, zum Schutz gegen die Wegelagerer, die in den Wäldern abseits der alten Römerstraßen überhandnahmen.
    Elysa versenkte ihre Hände tief in die Taschen des groben Wollmantels. Trotz des großen Eindrucks, den Clemens von Hagen zunächst bei ihr hinterlassen hatte, unterschied er sich anscheinend nur wenig von den meisten Männern, die sie kannte. Von ihrem Vater, Gott sei seiner Seele gnädig, ihrem Bruder Magnus von Bergheim und all jenen, die vergeblich um ihre Hand angehalten hatten. Diese Männer waren alle stur, besserwisserisch und selbstverliebt gewesen. Was bei dem Kanonikus noch schwerer wog, entbehrte er bislang doch jener Eigenschaften, die ein Mann des Glaubens mitbringen sollte: Demut, Güte und Barmherzigkeit.
    Elysa fröstelte in der ungewohnten Kleidung. Mit Bedauern dachte sie an die herrlichen Dinge, die nun am Heck des Bootes in ihren Truhen lagen. An den pelzgefütterten langen Mantel, die bestickten Fingerhandschuhe und an den saphirblauen, modisch kurzen Friesenmantel aus Flandern, die langen hochgeschnürten Seidenkleider aus Italien und den goldverzierten Umhang, einziges Andenken an ihre Mutter.
    Der Kanonikus hatte Elysa die grobe Kleidung der einfachen Städter gegeben, um sie vor Überfällen zu schützen. Es war gut und richtig, und dennoch, der raue Stoff war in der feuchtkalten Luft schnell klamm geworden und bot nur wenig Schutz gegen den eisigen Novemberwind.
    Elysa seufzte schwer. Sie hätte darauf bestehen sollen, im Hausihrer Großmutter in Mainz zu bleiben, bei der sie den Großteil ihres Lebens verbracht hatte und die sie nun alleine zurücklassen musste. Hier hatte sie ohne allzu strenge Aufsicht leben und unbeirrt all die Bücher studieren können, die laut allgemeiner Auffassung den Frauen nicht zugänglich sein durften.
    Sie hatte die Werke von Aristoteles und Plinius gelesen, die des Isidor von Sevilla und Bruno von Segni. Am stärksten hatte sie das Sic et Non des Petrus Abaelard beeindruckt, der die ungeheuerliche Auffassung vertrat, dass es dem Menschen zustand, kraft
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