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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
Autoren: Heike Koschyk
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Sitten verrohten, öffnete man dem Bösen alle Pforten!
    Und außerdem: Welcher Mensch sammelt seine ganze Herde in einem einzigen Stall, Ochsen, Esel, Schafe, Böcke, ohne dass sie auseinanderlaufen? Aber die Rupertsberger Meisterin hatte es dennoch getan, als sie hier in Eibingen alle Stände zuließ.
    Ida ging festen Schrittes voran, dann und wann lauschte sie, ob die Anwärterin ihr folgte. Als sie unter freiem Himmel den Kreuzgang durchquerten, glaubte sie, hinter dem Schleier ihrer Augen sanftes Mondlicht wahrzunehmen, das sich durch die Wolkendecke geschoben hatte. Und für einen kurzen Moment meinte sie, der schlechte Wind würde innehalten, bevor er mit unverminderter Kraft anhob.

4
    L autes Klopfen ließ Elysa hochschrecken. Die Zelle war dunkel, es musste noch Nacht sein. Die Kerze, die sie gestern Abend hatte brennen lassen, war erloschen. Und auch durch das geölte Pergament, das als Schutz vor der Kälte in einem Holzrahmen vor die Fensteröffnung gestellt war, drang noch kein Licht. Elysa zog die grobe Decke um ihren Körper und setzte sich auf. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit.
    Die Tür öffnete sich, und eine kleine Nonne, noch nicht alt, aber doch ehrfurchtgebietend, mit buckligem Rücken, schob sich in die Zelle, in der Hand eine helle Laterne. Ida.
    »Ich hoffe, du hast gut geschlafen«, sagte sie spöttisch, und ihre trüben Augen blitzten. »Das Morgenlob ist bereits vorbei – hast du denn die Glocke nicht schlagen gehört?«
    Elysa schüttelte gähnend den Kopf. »Nein.«
    Ida stellte die Laterne auf dem Boden ab. »Dann hat dich der Schlaf betäubt. Wenn Schwester Gudrun den Schlagring führt, gibt es niemanden, der auch nur ein Auge zubehalten kann. Also auf, nun, wenn du noch ein wenig vom Getreidebrei haben möchtest, es ist nicht mehr viel da.« Damit verließ die blinde Nonne den winzigen Raum.
    Elysa sah sich um. Die steinerne Zelle war eng und klamm. Neben dem strohbedeckten Bett aus harten Brettern stand ein kleiner Tisch, daneben ein Schemel. Sie dachte an den Getreidebreiund verspürte einen lauten, unbändigen Hunger. Seit der letzten Rast am vergangenen Mittag hatte sie nichts mehr zu sich genommen. Als Gast hätte sie Anspruch auf ein wärmendes Fell und ein reichhaltiges Mahl gehabt, aber nun war sie kein Gast mehr. Fast schon bereute sie es.
    Eilig stand Elysa auf. Sie schlüpfte in die ledernen Schuhe, zog das knöchellange Obergewand über das Unterkleid aus Leinen und schnürte den Umhang über der Brust. Rasch flocht sie die langen Haare zu straffen Zöpfen und verließ die Zelle.
    Als sie vor die Tür auf den schmal gemauerten Gang trat, war niemand zu sehen.
    Elysa machte sich auf den Weg zum Refektorium, das sie in dem Trakt südlich der Abteikirche vermutete. Über den Kreuzgang trat sie ins Freie. Der Himmel war noch immer dunkel, kleine Laternen erhellten in regelmäßigen Abständen den Weg. Der Innenhof war symmetrisch angelegt, mit Beeten und kleinen Büschen. Im Sommer mochte es hier prächtig blühen, nun bedeckten kurzgeschnittenes Gehölz und buntes Laub den Boden.
    Überall erblickte Elysa wundervolle architektonische Details, Zeugen der vergangenen Pracht, die der Zerstörung durch die kaiserlichen Truppen widerstanden hatten. Damals war das Land im Streit des achtzehnjährigen Schismas versunken, und Friedrich Barbarossas Heer hatte den Rheingau heimgesucht, in dem Bischöfe sich entgegen der kaiserlichen Anordnung zum kirchlichen Papst bekannt hatten.
    Bewundernd strich Elysa über die ebenmäßigen Säulen aus grauem Kalkstein, auf denen kunstvoll verzierte Kapitelle saßen, mit emporwachsenden Akanthusblättern, sich biegenden Ranken und hervorragenden Sporen, die im flackernden Licht fast wie Löwenköpfe aussahen.
    Ihr Blick glitt weiter und erstarrte. Ja, gewiss, Clemens von Hagen hatte ihr von einem Brand erzählt, aber nun erst sah sie, dassdieser Brand leicht das ganze Kloster hätte vernichten können. Die Bruchsteinmauer des am Kreuzgang angrenzenden südlichen Seitenschiffs der Kirche war schwarz gefärbt, der Dachstuhl stand zum Teil offen und ungeschützt. Auch das Obergeschoss des westlichen Traktes war geschwärzt, aus einer der Fensteröffnungen zog sich die rußige Spur des Feuers. In diesem Kloster waren nahezu alle Gebäude miteinander verbunden. Dass nicht alles von den Flammen erfasst worden war, grenzte an ein Wunder. Was hatte das Feuer aufgehalten?
    Sie hatte vier Tage, das herauszufinden. Am fünften Tag
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