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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson
Autoren: Wagnis des Herzens
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hier wärst, Willie,
dachte sie, würde ich dich fragen: Tut es dir leid, daß du es auf diese Weise
getan hast? Hast du im allerletzten Augenblick, als sich das Wasser über deinem
Kopf geschlossen hatte wie ein Sargdeckel und deine Lunge vor Schmerz platzte,
hast du da gewünscht, du hättest dich anders entschieden?
    Nach dem, was an jenem verhängnisvollen Abend geschehen
war, hatte Emma lange geglaubt, sie und ihre Mutter seien schuld an Willies
Entscheidung gewesen. Doch inzwischen wußte sie es besser. Damals, in dieser
Nacht, hatte sie ihren ersten Kuß bekommen.
    Er war
einer von Willies Freunden an der Universität, der für eine Woche in den
Semesterferien zu Besuch gekommen war. Er hieß Michael und war so hübsch, daß
Emma dachte, er könne für den Engel auf einem Kirchengemälde Modell stehen. Sie
war erst sechzehn und beobachtete ihn beim Abendessen. Während er redete, trank
und aß, blickte sie auf seine vollen Lippen und fragte sich, wie es wohl wäre,
von einem solchen Jungen geküßt zu werden. Schon lange bewegte sie die Frage,
wie es sein mochte, wenn ein Junge sie küßte.
    Spürte er
irgendwie, was sie wollte? Offenbar, denn später ging Michael trotz der Kälte
mit ihr hinaus in den Garten. Dort umarmte er sie und drückte seine vollen
wunderbaren Lippen auf ihren Mund.
    Er wollte
gerade etwas Ungewöhnliches tun, er wollte ihr seine Zunge in den Mund
schieben, als Willie sie entdeckte.
    »Du Hure!«
rief Willie. Aber dabei sah er nicht sie an, sondern seinen Freund,
und sein Blick verriet, wie tief er verletzt war und wie sehr er sich betrogen
fühlte.
    Erst dann bemerkte Emma ihre
Mutter. Mama stand hinter Willie und beobachtete sie wie ein tableau vivant, das zur Unterhaltung im Garten aufgestellt worden war.
    Emma lief
weinend ins Haus. Spät am Abend trieb sie ihr schmerzendes verwirrtes Herz zu
Willies Zimmer. Sie wollte sich wegen ihres schamlosen Benehmens entschuldigen.
Aber vielleicht wollte sie ihn auch bitten, ihr den Grund für den seltsamen
Ausdruck in seinen Augen zu erklären.
    Doch
Mama war ihr zuvorgekommen. Die Tür war nicht richtig geschlossen, und Emma
hörte, wie sie sagte: »Wie konntest du ihn ins Haus bringen?« Ihre
Stimme bebte vor Zorn und Abscheu. Willie murmelte etwas, das Emma nicht
verstand.
    »Das ist
ein Leiden, über das man hinwegkommen kann und muß. Du kannst damit anfangen,
daß du dich sofort deiner Pflichten als Sohn und Erbe der Tremaynes annimmst.
Ich erwarte, daß du bis zum Ende des Sommers die Frau gefunden hast, die deine
Ehefrau sein und deine Kinder zur Welt bringen wird. Und du wirst dich von
diesem Jungen und allen anderen seiner Art ein für allemal fernhalten.« Doch
Willie ging nicht zurück nach Yale oder fand das Mädchen, das er am Ende des
Sommers heiraten würde. Willie Tremayne beschloß statt dessen, am nächsten Tag
mit Maddie Rodeln zu gehen. Trotz Eis und Schnee nahm sie seinen Vorschlag an,
obwohl Willie sie zu dem Ausflug offenbar nur deshalb aufforderte, weil er
damit Emma auf seine Art bestrafen wollte. Aber das Schicksal wollte es anders.
Maddie verunglückte, und in der Nacht segelte er mit seinem Boot in den Sturm
hinaus und ertrank in den Wellen.
    Vielleicht, dachte Emma jetzt,
hat er gehofft, niemand werde bemerken, daß seine Seele krank war, wenn es ihm
gelang, seinen Körper zu vernichten.
    Als Kinder
waren sie einmal beim Spielen auf der Hope Farm im Wald auf eine Schlagfalle
gestoßen, in der die abgebissene, blutige Pfote eines Fuchses hing. Der Fuchs
hatte Sehnen und Knochen durchgenagt, um sich zu befreien.
    Willie weinte um den
verstümmelten Fuchs. Doch Emma fand die abgebissene Pfote wunderschön, denn mit
seinem Mut hatte der Fuchs seine Freiheit gerettet.
    »Willie ...«,
flüsterte Emma traurig, und es war wie ein Abschied. Voll Verständnis blickte
sie in die strudelnde Tiefe der Bucht, wo er ruhte.
    Vielleicht ruht er nicht in
Frieden, dachte sie, aber eine Art Ruhe hat er bestimmt gefunden.
    Die Brise
frischte auf, und der Nebel über dem Wasser hob sich. Die Sonne schien in der
Bucht zu schwimmen. Emma wollte die Rose aus dem Brautbukett auf die Klippen
werfen, doch beim Anblick ihrer Hand im weißen Handschuh hielt sie mitten in
der Bewegung inne.
    Zwei Dinge
bewegten sie in diesem Augenblick – der mit Diamanten besetzten Saphir-Ring,
den der Mann ihr geschenkt hatte, den sie heiraten würde, und eine kleine
Narbe, die sie dem Mann verdankte, den sie liebte.
    Manchmal,
dachte sie, ist der Preis,
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