Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd

Titel: Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
Autoren: Lincoln Douglas & Child Preston
Vom Netzwerk:
sarkastische Anspielung auf Chaucer. Aber es steckt noch viel mehr darin. Denken Sie mal über die Metaphern am Anfang nach: ›Flieder aus toter Erde‹, ›dumpfe Wurzeln‹, ›Schnee des Vergessens‹. Liebe Freunde, bis zu diesem Zeitpunkt hatte kein Dichter in der Geschichte der Weltliteratur je auf diese Weise über den Frühling geschrieben.«
    Als Dewayne bis zum Schluss des Gedichts vorgeblättert hatte, stellte er fest, dass es mehr als vierhundert Verse umfasste. O nein. Nein…
    »Faszinierend ist, dass Eliot im zweiten Vers von Flieder spricht und nicht von Mohn, obwohl Letzteres naheliegender gewesen wäre. Mohn wuchs damals in Europa in einem Maße, wie man es seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt hatte; denn nach dem Ersten Weltkrieg düngten zahllose verwesende Leichen die Erde. Wichtiger aber ist, dass der Mohn – mit seinen Anklängen an narkotischen Schlaf – besser in Eliots Bildsprache gepasst hätte. Warum also hat der Autor den Flieder gewählt? Betrachten wir kurz, auf welche Weise er sich auf die literarischen Vorläufer bezieht, hier vor allem Whitmans Als Flieder jüngst mir im Garten blühte.«
    O mein Gott, das hier war der reine Albtraum: Da saß man ganz vorn im Hörsaal und begriff kein Wort von dem, was der Professor redete. Aber wer hätte denn gedacht, dass man ein vierhundert Zeilen langes Gedicht über ein verdammtes »wüstes Land« schreiben konnte? Apropos wüst, gestern Abend, das war ein ziemlich wüstes Gelage gewesen. Aber geschah ihm ganz recht, er hätte ja nicht bis vier Uhr morgens abhängen und sich einen Grey Goose nach dem anderen reinkippen müssen; dann hätte er jetzt auch keinen dicken Kopf.
    Plötzlich war es ringsum still; die Stimme hinter dem Pult war verstummt. Dewayne blickte auf: Dr. Hamilton stand reglos da, mit einem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht. So elegant der alte Knabe auch gekleidet war, jetzt sah er eher so aus, als hätte er sich in die Hose gemacht. Seine Gesichtszüge waren mit einem Mal merkwürdig schlaff. Unter Dewaynes Blicken zog er langsam ein Taschentuch hervor und betupfte sich sorgfältig die Stirn, dann faltete er es fein säuberlich zusammen, steckte es zurück in die Brusttasche und räusperte sich.
    »Verzeihen Sie.« Er griff nach dem Glas Wasser, das auf dem Pult stand, und trank einen kleinen Schluck. »Wie gesagt, betrachten wir einmal das Metrum, das Eliot im ersten Abschnitt verwendet. Sein freies Versmaß weist ein aggressives Enjambement auf: die einzigen Zäsuren gibt es in den Versen, in denen ein Satz endet. Achten Sie auch auf die starke Betonung der ersten Silbe der Verben: brüten, mischen, sich regen. Das hört sich wie das unheilvolle, vereinzelte Schlagen einer Trommel an; es ist hässlich, es zerstört die Bedeutung des Satzes und erzeugt ein Gefühl der Beunruhigung. Und es bereitet uns darauf vor, dass etwas in diesem Gedicht geschehen wird, und zwar etwas Unschönes.«
    Die Neugier, die durch die unerwartete Pause in Dewayne geweckt worden war, legte sich wieder. Die sonderbare Leidensmiene des Professors war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war, und auch sein Gesicht war zwar immer noch blass, aber nicht mehr so aschfahl.
    Dewayne widmete sich wieder seiner Lektüre. Um herauszufinden, was es bedeutete, konnte er das Gedicht ja mal rasch überfliegen. Er las den Titel, dann wanderte sein Blick nach unten, zum Epigramm oder Epigraph oder wie immer man das nannte.
    Er stutzte. Was war das denn? Nam Sibyllam quidem… Also Englisch war das jedenfalls nicht. Und dort, mittendrin, waren irgendwelche unentzifferbaren Schnörkel, die nicht mal Teil des normalen Alphabets waren. Er blickte auf die Anmerkungen unten auf der Seite und las, dass der erste Teil Lateinisch und der zweite Teil Griechisch war. Darunter stand die Widmung: Für Ezra Pound, il miglior fabbro. In den Anmerkungen hieß es, der letzte Teil sei Italienisch.
    Lateinisch, Griechisch, Italienisch. Und dabei hatte das dämliche Gedicht noch nicht einmal angefangen. Und was kam als Nächstes, Hieroglyphisch?
    Es war wirklich ein Albtraum.
    Dewayne überflog die erste, dann die zweite Seite. Ein einziges Gefasel. »Ich zeige dir die Angst in einer Hand voll Staub.« Was sollte das denn heißen? Sein Blick fiel auf die nächste Zeile. Frisch weht der Wind – schon wieder kein Englisch!
    Dewayne klappte das Buch zu. Er hielt das einfach nicht mehr aus. Schon in den ersten dreißig Zeilen hatte der Typ fünf verschiedene Sprachen verwendet,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher