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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench
Autoren: Boris Akunin
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Patriarch Nikon im Bestreben, die Ehre des Mönchsstands wiederherzustellen, die Klosterordnung allenthalben strenger gestaltete, wurde das Frauenkloster aufgelöst und den Nonnen der Aufenthalt auf den Inseln im Blauen See verboten. Weltliche Frauen durften Wallfahrten zum Kloster unternehmen, und es kamen viele Pil-gerinnen, aber den Bräuten Christi war der Zutritt verwehrt, für sie gab es andere Heiligtümer.
    Pelagia schien Mitrofani widersprechen zu wollen, doch als ihr Blick auf Berditschewski fiel, schwieg sie. So war die Diskussion um den schwarzen Mönch, die von den drei klügsten Menschen des Gouvernements Sawolshsk entfacht worden war, in eine Sackgasse geraten.
    Wie gewöhnlich in derartigen Fällen fand Bischof Mitrofani einen Ausweg aus der schwierigen Lage – in seiner üblichen paradoxen Manier. Nach der Theorie des Bischofs haben Paradoxa die Eigenschaft, zu umständliche Gedankengebäude des menschlichen Verstands umzustoßen und somit unerwartete und bisweilen kürzere Wege zur Lösung problematischer Aufgaben zu eröffnen. Der Bischof brachte seine Gesprächspartner gerne mit einem unerwarteten Satz oder einer unglaublichen Entscheidung aus der Fassung, nachdem er zuvor eine Miene höchst weiser und strenger Konzentration angenommen hatte.
    Auch jetzt, als man alle Argumente ausgeschöpft und keinen Ausweg gefunden hatte und ein bedrücktes Schweigen eingetreten war, runzelte der Bischof seine weiße Stirn mit den drei Querfalten; er senkte die Lider und begann, den Rosenkranz aus Sandelholz durch seine bemerkenswert weißen und gepflegten Finger laufen zu lassen (Mitrofani ließ seinen Händen stets betont sorgfältige Behandlung angedeihen und erschien außerhalb seiner Gemächer fast nie ohne seidene Handschuhe, was er damit erklärte, dass eine geistliche Person, die mit den heiligen Gaben zu tun hatte, möglichst penibel auf ihre Hände zu achten habe).
    Der Bischof verharrte etwa eine Minute in dieser Haltung, schlug dann seine blauen Augen auf, in denen ein kleiner Funke blitzte, und sagte in einem Ton, der keine Widerrede duldete:
    »Aljoscha Lentotschkin wird fahren.«
    Matwej Benzionowitsch und Pelagia seufzten nur.
    ***
    Selbst mit äußerster Anstrengung hätte man schwerlich einen paradoxeren Kandidaten für eine geheime Inspektion in dieser delikaten innerkirchlichen Angelegenheit finden können.
    Alexej Stepanowitsch Lentotschkin, der wegen seines jugendlichen Alters und der rosig gerundeten Wangen hinter seinem Rücken nie anders als Aljoscha genannt wurde (viele nannten ihn auch in seiner Gegenwart so, und er war darüber nicht gekränkt), lebte erst seit kurzem in unserer Stadt, doch er war sogleich in den Kreis der besonderen Favoriten des Bischofs aufgenommen worden.
    Dafür gab es im Übrigen völlig verzeihliche Gründe, war doch Alexej Stepanowitsch der Sohn eines alten Kameraden des Bischofs, der bekanntlich vor der Mönchsweihe als Kavallerieoffizier gedient hatte. Mitrofanis Dienstkamerad war als Major im letzten Türkenkrieg gefallen und hatte eine nahezu völlig mittellose Witwe mit zwei minderjährigen Kindern, einer Tochter und einem Sohn, hinterlassen.
    Der kleine Aljoscha war ein sehr aufgeweckter Knabe, der mit elf Jahren bereits ohne weiteres Integralrechnungen löste und mit zwanzig ein naturwissenschaftliches oder mathematisches Genie zu werden versprach.
    Die Lentotschkins lebten nicht in Sawolshsk, sondern in der großen Universitätsstadt K., die ein Stück weiter flussabwärts lag, und als für Aljoscha die Zeit gekommen war, sich für ein Studium zu entscheiden, wurde er nicht nur ohne Studiengebühren an der dortigen Universität aufgenommen, sondern auch noch mit einem Stipendium bedacht, damit er lernen und sein Talent zum Ruhme seiner Heimatstadt entfalten konnte. Ohne Stipendium hätte er trotz Erlasses der Gebühren nicht studieren können, weil seine Familie vollkommen mittellos war.
    Mit dreiundzwanzig Jahren, kurz vor dem Abschluss des Studiums, trat Alexej Stepanowitsch endgültig in die Fußstapfen von Wissenschaftlern wie Evariste Galois oder Michael Faraday, was seine Umgebung anerkannte und worüber er selbst ganz unverhüllt sprach. Der junge Mann verfügte indes neben seinen ungemein großen Fähigkeiten auch über eine enorm hohe Meinung von sich selbst, was bei frühreifen Talenten keine Seltenheit ist. Er bezeugte keinen Respekt vor Autoritätspersonen, hatte eine spitze Zunge und war dreist und hochmütig, was bekanntlich Evariste
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