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Pausen tun uns gar nicht gut

Pausen tun uns gar nicht gut

Titel: Pausen tun uns gar nicht gut
Autoren: Bennecke,Jürgen
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einen Gedanken an eine Bergbesteigung
verschwenden.
    Wir laufen heute wieder auf
Hochtouren, durch Tosantos , durch Espinosa del Camino und haben das Tal des Flusses Oca vor uns. Nach drei Stunden strammen
Fußmarsches haben wir den höchsten Punkt des Tages erreicht und lassen neben 15
km Wegstrecke auch 400 Meter Höhenunterschied hinter uns.
    Bei jeder kleinen Pause muss ich
Heidi die Wasserflasche öffnen und ihr entgegenhalten, den Verschluss
selbstständig aufzudrehen ist für sie einfach zu anstrengend.
    Wir holen zwei Italiener ein
und wandern mit ihnen ein Stück gemeinsam.

    Wir machen uns gegenseitig
bekannt und als wir ihnen erzählen, dass wir aus der Nähe von Wolfsburg kommen, umarmt mich der eine überschwänglich und beglückwünscht mich zur
deutschen Fußballmeisterschaft. Das ich zu dem Erfolg nicht das Geringste
beigetragen habe, lässt er nicht gelten und zählt mir sogleich den gesamten
Kader des VfL Wolfsburg auf. Als er Näheres zu unserem Wohnort
wissen will und erfährt, dass wir nicht in Niedersachsen sondern genau genommen
in Sachsen-Anhalt zu Hause sind, fällt ihm sofort der Europapokal der
Pokalsieger von 1974 ein. 1. FC Magdeburg ruft er laut und wie im
Rausch sprudeln die Namen, Seguin, Pommerenke und Sparwasser aus ihm raus.
„Donnerwetter” sage ich und denke im Stillen, hoffentlich fragt der mich jetzt
nicht nach der italienischen Fußballliga.
    Gegen 12:00 Uhr erreichen wir San
Juan de Ortega und machen eine ausgiebige Pause vor einer kleinen Bar
unter einem schattenspendenden Sonnenschirm. Die Kirche, die geöffnet ist,
wirkt ein paar Nummern zu groß für diesen kleinen Ort. So langsam füllen sich
die Sitzgelegenheiten vor der Bar mit Pilgern, die wir noch vor kurzem überholt
haben. Um 13:45 Uhr stecken wir wieder unsere Füße in die Treter und wandern
noch einmal 6 km bis Atapuerca.
    Seit 1992 ist der Name Atapuerca nicht mehr nur ein Ort auf dem Jakobsweg, sondern mit einem spektakulären
Ereignis unserer Gegenwartskultur verbunden. Hier sind bei Ausgrabungen die
Überreste des so genannten Homo Antecessor, des gemeinsamen Vorfahren unserer
Spezies und des ausgestorbenen Neandertalers, entdeckt worden. Es macht ihn zum
„ersten Europäer“ menschlicher Gattung, der uns bekannt ist.
    Die Herberge, die wir gegen
15:00 Uhr erreichen, ist privat geführt und kostet für uns beide 14,- € die
Nacht. Es ist alles sehr sauber, aber unheimlich eng. Im voll belegten
Sechsbettzimmer bleibt nur noch Platz für einen schmalen Gang, auch der ist mit
Gepäck zugestellt. Nach dem Duschen und einer kurzen Ruhepause gehen wir in ein
Café des Ortes und genießen die schöne Aussicht auf die umliegende Landschaft.
Das obligatorische Pilgerdinner nehmen wir in einer von außen nicht zu
erwartenden Atmosphäre zu uns. Im fein eingerichteten Restaurant wird uns das
Essen bei Kerzenlicht und leiser Musik an einem Zweiertisch serviert.
    Zurück im Garten der Herberge
singen Mitpilger zur Gitarre Volkslieder und ich merke mal wieder, wie wenig
deutsches Liedgut ich beherrsche. Trotzdem wird es mich nicht davon überzeugen,
nach Abschluss dieser Reise dem heimischen Männergesangsverein beizutreten.
    Ich lerne Britta kennen, die
ihren Schlafsack direkt unter meinem Bett ausgerollt hat. Britta ist
Fremdsprachenkorrespondentin und kommt aus dem Saarland. Sie ist verheiratet
und kinderlos. Ihren Alltag verbringt sie als Hausfrau, weil ihr Mann das so
möchte, und auch diesen Weg geht sie auf Wunsch ihres Göttergatten. Nach Santiago wird er wegen seiner mangelnden Zeit mit dem Flugzeug reisen und sie dort in
Empfang nehmen. Ja, so gehorsam wünschen wir Männer uns die eigene Frau. Ich
komme ins Grübeln, was ich im Gegensatz dazu für ein widerspenstiges Weib an
meiner Seite habe. Unser Gesang ist im ganzen Ort zu hören, was dazu führt,
dass uns einheimische Musiker aus der benachbarten Gaststätte ein Ständchen
spielen und zwei Pärchen zu den Klängen eine gekonnte Tanzeinlage darbieten.
Später im Bett summt ihre Musik vom Nachbargrundstück bis unter meinen
Schlafsack, und ich höre sie noch lange spielen.
     
     
     
    04.06.2009

Atapuerca
— Tardajos 31 km
     
    Heidi weckt mich noch vor dem
Hellwerden, weil sie sich mit Mordgedanken plagt. Die schnarchende Frau neben
ihr löst diese niedere Denkweise in ihr aus. Vom „Kissen ins Gesicht drücken“
bis zum „Messer werfen“ signalisieren ihre Gehirnzellen. Ich schnüre eilig
meine Wanderschuhe, ehe noch etwas Schlimmes auf diesem
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