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Paula geht

Paula geht

Titel: Paula geht
Autoren: Martina Nohl
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anpiepste.
    „Schnell, Herr Willmers, können Sie bitte übernehmen.“
    Er beschleunigte seine Schritte nur minimal und kam weiter auf sie zu. Er wurde blass um die Nase, als er sah, was Paula tat, zückte sein Handy und wählte hektisch die Nummer der Intensivstation.
    „Können Sie jetzt übernehmen?“, knurrte Paula, der inzwischen der Schweiß an Brust und Rücken hinunterlief. Bleib hier, redete sie im Geist mit dem Mann vor ihr, der sich von Sekunde zu Sekunde weiter zu entfernen schien. Deine Frau und deine Töchter brauchen dich noch. Verdammt nochmal, streng dich an, wir schaffen das. Sie glaubte daran, dass es half, in solchen Momenten telepathisch zu kommunizieren. Nicht selten hatte sie schon Rückmeldung von Patienten bekommen, die sie auf diesem Weg noch hören konnten. Sie schaute auf und konnte es nicht fassen, dass Willmers immer noch zitternd auf seinem Handy tippte.
    „Besetzt“, flüsterte er. „Bitte machen Sie weiter. Ich habe das nur einmal in der Ausbildung gemacht. Sie scheinen das im Griff zu haben“, sagte er dann so leise, dass sie ihn kaum verstehen konnte.
    „Schauen Sie mich an“, sagte Paula, so ruhig sie konnte. „Ich brauche Ihre Hilfe, jetzt, hier. Holen Sie die fahrbare Liege aus Zimmer 401, und zwar schnell. Wenn sie nicht zu uns kommen können, müssen wir zu ihnen kommen.“
    Zehn Minuten später ließ sie sich schwer atmend auf einen Schreibtischstuhl im Schwesternzimmer der chirurgischen Station sinken. Durch das beleuchtete Fenster konnte sie sehen, wie sich Willmers am Eingang der Intensivstation zwei Stockwerke unter ihr eine Zigarette anzündete, obwohl Rauchen dort natürlich strengstens verboten war. Endlich war Herr Mayer in guten Händen und sie wartete auf den Anruf, ob er durchkommen würde. Paula zitterten immer noch die Knie von der Anstrengung und Aufregung. Eine Herzmassage macht man nicht jeden Tag. Drei Minuten Sitzen mussten drin sein.
    Da trat Willmers zu ihr ins Zimmer und traute sich kaum, ihr in die Augen zu blicken. „Danke“, sagte er leise.
    Sie nickte. „Schon ok, das geht uns allen mal so.“
    „Wissen Sie, ich frage mich manchmal, ob ich wirklich für den Beruf geeignet bin“, fing er an.
    Nein, Hilfe, jetzt keine Grundsatzdiskussion um 3.53 Uhr. Als Antwort starrte sie in die Luft. Das Telefon klingelte. Intensivschwester Sabrina war dran. „Innere Blutungen, wir konnten nichts mehr für Herrn Mayer tun.“
    Ein tiefer Seufzer schüttelte Paula. Sie rappelte sich mühsam hoch und schleppte sich, ohne Willmers anzuschauen, in die Kaffeeküche. Die Schicht ging weiter. Sie beneidete den jungen Willmers nicht, der die Nachricht an Frau Mayer überbringen musste.
     
    Auf der Station war jetzt alles ruhig. Sie goss sich die vierte Tasse Kaffee der Nacht ein. In solchen Momenten wünschte sie sich, weit weg zu sein. Vielleicht am Schalter einer Bank, da ging es wenigstens nur um Geld, oder vielleicht sollte sie als Programmiererin mit Codezeilen kämpfen. Nein, das war auch schon wieder zu gefährlich. Irgendetwas ganz Harmloses. Ihrem müden Gehirn fiel nichts ein. Da läutete es wieder aus dem Zimmer von Merle. Mist, sie hatte vergessen, ihre Temperatur zu messen.
    Die Zimmernachbarin von Merle, die siebzehnjährige Jasmin, zeigte auf Merle. „Ich glaube, da stimmt was nicht, können Sie mal nach ihr schauen? Eben hat sie noch gewimmert, jetzt hat sie ganz aufgehört.“ Paula prüfte die Lebenszeichen. Jasmin hatte recht, da stimmte irgendetwas überhaupt nicht. Merle war ganz heiß, ihr Puls ging nur flach und sehr unregelmäßig, auch ihr Atem war kaum hörbar und setzte immer wieder aus. Scheiße, dachte Paula, vermutlich Sepsis nach Blinddarmdurchbruch. Vielleicht hätte sie das Brechen vorhin doch ernster nehmen sollen.
    Sie piepste erneut Willmers an und telefonierte mit der Intensivstation. Diesmal kam sie glücklicherweise durch. „Bitte schickt jemanden in Zimmer 423, Notfall nach Blinddarm-OP, beeilt euch.“ Sie nahm den Sauerstoffbecher vom Haken, drehte den Hahn auf und gab ihr ein wenig Sauerstoff.
    Willmers kam ins Zimmer. Paula fuhr ihn an: „Würden Sie ihr jetzt endlich den Zugang legen, sie braucht dringend ihre Antibiose und gleich kommt sie auf Intensiv.“
    Willmers sah sie fragend an. Eigentlich wäre es sein Job gewesen, mit der Intensivstation zu telefonieren. Nachdem er aber Merles Zustand sah, sagte er nichts zu ihrer Kompetenzüberschreitung. Umständlich machte er sich ans Werk, den Arm abzubinden.
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